Ausgewählte Texte und Bilder von Dr. Josef Kühtreiber


Dr. Josef Kühtreiber

Einführung

Dr. Josef Kühtreiber (29.10.1907 - 04.08.1996), mein (Christoph Bouthillier) Onkel, war ein Biologe mit einem großen Interesse an Naturschutz, und das Jahrzehnte, bevor dieses Thema in Mode kam. Er unterrichtete einige Jahrzehnte lang Biologie an Gymnasien in Hall in Tirol und Innsbruck. Darüber hinaus hielt er zahlreiche Vorträge zu biologischen Themen vor Erwachsenen und leitete er viele Exkursionen über die Pflanzen- und Tierwelt Tirols, dem Land, wo er - abgesehen von den Kriegsjahren, die er als Sanitäter, stolz darauf, nie einen Schuss abgefeuert zu haben - sein ganzes Leben lang wohnte. Angesichts seines besonderen Interesses an der Ornithologie (Vogelkunde) leistete er sehr bedeutende Beiträge zur wissenschaftlichen Vogelbeobachtung in Österreich und veröffentlichte verschiedene wissenschaftliche Artikel zu ornithologischen Themen.

Er war aber auch ein sehr begabter und produktiver Autor von drei Büchern, einem Gedichtband und populärwissenschaftlichen Aufsätzen, ein guter Fotograf sowie der Verfasser von ernsthafter und humoristischer Lyrik und Prosa, mit einem Gesamtwerk von gut 2000 Seiten. Charakteristisch für ihn war die völlig mühelose Verbindung aus feinsinniger, poetischer, ja fast romantischer, sprachlich kunstvoller und fachlich makelloser Ausdrucksweise, umfassendem Wissen, Ehrfurcht vor den Wundern der Schöpfung und nicht zuletzt milder Ironie - von der er sich selbst nicht ausnahm.

Seine Heimat Tirol, deren Natur und die inzwischen fast entschwundene, traditionelle bäuerliche Lebenswelt dieses Landes liebte über alle Maßen, was in der Mehrzahl seiner Werke deutlich zum Ausdruck kommt.

Aber Dr. Kühtreiber war nicht nur ein Mann der Worte und Vögel. Die 900 hinterlassenen Zeichnungen zeigen uns einen sehr genauen Beobachter der Natur und der Menschen, mit einer tief religiösen Überzeugung, einer sicheren Hand beim Zeichnen und Aquarellieren. Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind alle seine Zeichnungen sind sehr klein, meist nicht viel größer als 5 x 8 cm. Die meisten wurden mit Farbstiften und manchmal (auch) mit Tusche angefertigt.

Aus diesem "Schatz" präsentiere ich hier nacheinander einige ausgewählte Gedichte, danach diverse Zeichnungen und schließlich Prosastücke.

Bei in ROT dargestellten Begriffen wird wohl so mancher Leser auf Verständnisschwierigkeiten stoßen. Ein Schweben mit der Maus über dem jeweiligen Begriff zeigt dann die Definition an. Hier gebührt mein größter Dank an Herrn Mag. Walter Gstader, Mutters, Tirol, einem guten Freund meines Onkels, für die Zusammenstellung von mehr als 500 der insgesamt 745 Definitionen an 961 Wortstellen.

 


Auferstehen

Schon stehn im Purpurrauch die Erlenauen,
und Frühlingsfliegen ziehen mit dem Wind.
Und an dem Damm, dem wintergrauen
die ersten Stelzen angekommen sind.

Die Haseln blühen an der Hügelstufe,
wo in der Winternacht der Fuchs gebellt.
Vom Fichtenhang herüber hallen Drosselrufe,
so neu, als kämen sie aus and'rer Welt.

Du spürst die Wärme, und du siehst die Zeichen
und einen gnadenvollen Augenblick
ergreift ein Schauer dich, nur zu vergleichen
vielleicht - mit künft'gem Auferstehungsglück.

 


Für einen Augenblick

Warum zieht ihr mich immer wieder an,
ihr Frühlingstäler, hundertmal begangen?
Ist es der Drang, das Leben einzufangen,
das man nur suchen, doch nicht halten kann?

Nur hin und wieder flammt es auf in jäher Helle
und zeigt ein Wunderland für einen Augenblick,
ein' Gnadenstrahl, ein Paradiesesstück -
und plötzlich ausgelöscht, wie die bewegte Welle.

 


März

Ich seh das starre Land sich weiten
und wieder öffnet sich die Hand,
zu schenken neuen Raum und neue Zeiten
und Lebenswunder neu und unbekannt.

Und wieder steigt aus fahlen Rainen
und dürrem Laub das junge Gras.
Die Schnäbel all, die großen und die kleinen,
sie singen in der Freude Übermaß.

Ich steh am Waldrand unter Haselreihen
in Blüten rosenrot und seidenblau.
Es hüllt mich ein wie goldenes Verzeihen
und weiß nicht, ist es Wirklichkeit, ist's Schau?

 


Zugvögel

Ein grauer Himmel spiegelt sich im Weiher
und gelbe Blätter sammeln sich am Wehr.
Der Schneewind zieht von fernen Bergen her
und an der Schilfwand spielt der Herbst die Leier.

Die Mondnacht sendet neue Vogelscharen,
Geflügelketten, fremd an diesem Ort.
Heut sind sie da und morgen wieder fort
und niemand weiß es, wo sie gestern waren.

 


Die Behandlung

Ein Schüler, der gern Fußball spielte,
diverse Fünfer nur erzielte.
Daraufhin schrieb der Klassenleiter:
Mit Ihrem Sohn geht's so nicht weiter.
Der Vater sprach: Den faulen Schlingeln,
den werd ich auf die Beine bringeln.
Die Mutter sprach: Das arme Kind
ist sicher krank. Zum Arzt geschwind!
Der Arzt besieht ihn vorn und hinten,
kann aber keine Krankheit finden.
Drum sagte er: Ja, es besteht
die Neigung zur Nervosität!
Zudem ist es nach seiner Meinung
auch eine Pubertätserscheinung.
Man nehme drum Phenylamin-
disulfoferripyridin
des Morgens früh auf leeren Magen.
Die Rechnung folgt in 14 Tagen.
Der Schüler nur mit Widerwillen
schluckt einige von diesen Pillen
Und alles hält nun an den Atem,
um zu erwarten Resultaten.
Er schreibt jedoch, trotz Therapie
ein Nichtgenügend, wie noch nie.
Und wieder schreibt der Klassenleiter:
Mit Ihrem Sohn gehts nicht mehr weiter!
Dieweil versagen alle Drogen
bringt man den Sohn zum Psychologen.
Der soll nun, statt mit Gift zu füttern,
ihn gründlich psychoanalittern,
Der Psychologe nimmt den Knaben
und sagt: Das werden wir gleich haben.
Setz' Dich nur dort auf jenen Schragen
und achte gut auf meine Fragen.
Wohlan! Zähl auf von Jahren - dreien
die umgekehrten Mahlzeitreihen.
Der Schüler wühlt in seinem Innern,
kann sich jedoch nicht mehr erinnern.
Der Mann er sieht aus der Verhörung
Ergebnis ist Gedächtnisstörung.
Nun sagt zu ihm der Psychologe:
Antworte auf die zweite Froge!
Worin besteht die Relation
von Besenstiel und Grammophon?
Doch leider ist mit diesen Dingen
Vom Schüler nichts herauszubringen.
Der Mann er sieht aus der Vernehmung,
es kommt dazu Verstandeshemmung.
Es bleibt ein nicht ganz klarer Rest,
drum schreitet er zum dritten Test.
Er sagt: Von Federn, Heften, Büchern,
Zahnbürsten, Lehrern, Taschentüchern,
von Schuhwichsdosen, Wäschekübel -
was scheint dir nun das kleinste Übel?
Der Schüler sagt darauf bescheiden:
Ich kann sie allesamt nicht leiden.
Aha! nun ist es klar bewosen,
hier handelt sich's um Angstpsychosen!
Nun tunkt der Mann die Feder voll
und schreibt sogleich das Protokoll:
Der Knabe leidet an verdeckten
diversen psychischen Affekten.
Auch steckt in ihm wie ein Gewächs
ein alter Ödipuskomplex.
Es hat sich nun auf lange Sichten
danach die Therapie zu richten.
Das Beste ist ganz ohne Frage
dosierte Seelenrandmassage.
Der Schüler wird nun abgeführt
und täglich seelenrandmassiert.
Und erhofft von der Behandlung
sich eine rasche Geisteswandlung.
Doch das ist das Bedauerliche -
im Heft sind noch mehr rote Striche.
Nun schreibt sogar die Direktion:
Am Rand des Unheils steht Ihr Sohn.
Der Vater rauft sich seine Glatzen:
Was tu' ich nur mit diesem Fratzen?
Wie er so geht in seinem Trauern,
da trifft er einen alten Bauern.
Er geht mit ihm ein Stückchen weit
und kommt zu sprechen auf sein Leid.
Wir können nicht den Schlingel retten
mit Geistmassieren und Tabletten.
Der Bauer sagt: Massier' ihn hinten,
das übrige wird sich dann finden.
Wenn ich das tu' mit sturen Eseln
ist's immer von Erfolg gewesen.
Der Vater sagt: Das ist plausibel
und holt den Buben in sein Stübel.
Dann nimmt er frische Birkensprossen,
um zu massieren seine Hosen.
Und siehe - oh Mirakulum!
auf einmal dreht das Ding sich um.
Die Striche nehmen ab, die roten,
es bessern sich die schlimmen Noten.
Da spricht der Arzt: Es ist erreicht,
Keine Methode meiner gleicht.
Der Psychologe nimmt Papier
und schreibt: Mein Herr, das dankt Ihr mir!
Der Fußball aber denkt: Nanu,
Warum hab' ich auf einmal Ruh?

 


Instanzenzug

Ein Gesuch, ordnungsgemäß,
aber sonst ganz alleine
machte sich auf die Beine.

Es gelangte
stempelmarkig und munter
zum Unter-Unter.

Der Unter-Unter sprach:
Hm, hm - möglicherweise -
und schickt es auf die Reise
zum Ober-Unter.

Der Ober-Unter
blickt es traurig an
und sprach sodann:
Ich meine
wo sind denn deine
Anlagescheine?
Doch gleichviel - einerlei
es sei.
Zum Unter-Ober der Weg ist frei.

Der Unter-Ober schüttelte das Haupt:
Dich soll ich wohl
mit meinem Siegel noch ergänzen?
Jedoch - wo bleiben dann die schwarz-rot-blauen Referenzen?
Ei was, dich oh Gesuch, in Augenschein zu nehmen,
mag nur der Ober-Ober sich bequemen.

Der Ober-Ober fand gelegentlich
ein paar Monate danach
das Gesuch
in seinem Schreibtischfach.
Dann nickte er:
Ja, allerwertestes Gesuch,
ich sehe, du bist recht gewandelt,
du bist instanzenwegig vorbehandelt.
Es steht das Recht dir zu
sowohl voll als auch ganz.
Hier meine Signatur
und nun
in den Papierkorb
als der obersten Instanz.

 




















































 


Der Kolonialvortrag

Es war in der Zeit, als zumindest jeden Samstag und Sonntag die Sammelbüchsen klapperten und jedermann bei "irgendwas" sein musste, beim NSFK, dem Fliegerkorps, beim NSKK, dem Kraftfahrerkorps, bei der NS-Frauenschaft, bei der HJ usw. usw. - zahllos waren die Untergruppen der NS-Organisation.

Eine davon war auch der Reichskolonialbund. Wer lieber zahlte als exerzierte, trat dem Kolonialbund bei, manchmal mit dem damals verwerflichen Hintergedanken: Der Himmel ist hoch und die Kolonien sind weit. Man kann auch über das reden, was man nicht hat. So wurden Versammlungen abgehalten.

Diesmal war der Referent, der Obmann selber, verhindert. Was jetzt? Er traf den Biologielehrer der Oberschule. "Herr Kollege, Sie müssen einspringen...!" Das war um Mittag. Um 20 Uhr hatte der Vortrag stattzufinden. Dienstlicher Befehl!

Um 20 Uhr: Versammlung beim "Schwarzen Adler". Da saßen die Kolonialbündler und warteten auf den Referenten und noch mehr auf die Kellnerin.

Wie macht man Kolonialatmosphäre? Filme aus Übersee, Plastikmodelle exotischer Rohstoffe und ein paar großspurige Phrasen. Der Referent begann: "Verehrte Kolonialfreunde! Wir haben zwar keine Kolonien, dafür aber einen Kolonialbund mit hohen und fernen Zielen. Was wir brauchen, ist Kolonialgeist." Einer im Hintergrund hob zur Demonstration das Rumglas hoch. "Wir brauchen Information und Einstimmung in das Kolonialwesen, und vergessen wir niemals: Seefahrt tut Not! In diesem Sinne betrachten Sie nun einige Filme!" Die Filme liefen. Erst ein Kokoshain. Eingeborene kletterten mit affenartiger Behändigkeit die Palmstämme hinauf und schlugen die reifen Nüsse herunter. "Eine straffe Organisation der Eingeborenen könnte das Ergebnis der Fettgewinnung enorm erhöhen. Es steht fest: Wir brauchen Fett!" Alles klatschte. Dann rauschten sudanesische Haumesser im Sisalfeld. Der Vortragende wurde eindringlich: "Bedenken Sie bitte, was wir brauchen, sind Rohstoffe, billige Rohstoffe, Sisal aus altem deutschen Kolonialgebiet für Säcke und vor allem für Stricke, ja für Stricke!" Dann hantierten indische Frauen in einer Kaffeeplantage. Zugleich hob der Referent einen Kaffeezweig aus Plastik in den Lichtkegel: "Wir brauchen Kaffee, Kaffee von erster Qualität!" - einige Damen seufzten abgrundtief - und Tee", fuhr er fort, "hochwertigen, schwarzen Tee, wie er uns zusteht ...!" Traurig schauten einige in ihre Gläser mit Wald- und Wiesentee.

Und so ging die Fata Morgana weiter. Offensichtlich waren alle überzeugt, dass man alles dringend brauchte, was man nicht bekam. Und sie träumten von Kolonialgenüssen, so wie Mpungo, das Negerweib, nach Propagandawunsch aus einem Plakat heraus, vom "großen Führer" träumte. Nur einige saßen mit verschlossenem Stockzahnlächeln hinter ihren Biergläsern.

Schließlich, nach einigen Havarien mit dem Apparat, ging der Stoff zu Ende. Und der Vortragende rief zum Schluss: "Verzweifeln Sie nicht! Der Kolonialbund wird es schaffen! Machen Sie sich vertraut mit dem Gedanken: Sie können heute Abend ohne Kolonien einschlafen und morgen früh mit Kolonien aufwachen!" Dreißig Häupter machten Wendung nach vorn und nickten. Sie nickten inbrünstig. Dann war der Zauber vorbei. Und der Referent ging daran, Filme und Plastikmodelle einzuschachteln. Er schleppte sie quer über die Straße, denn er wohnte gegenüber dem "Schwarzen Adler".

Drei Jahre danach waren die Kolonialträume ausgeträumt und manche andere auch. Mpungo hat anderes zu tun. Und das ist gut so!

 


Im Ostermond

Ostern ist vorbei. Es war ein langer Weg, die vorösterlichen Sonntagsstiegen hinauf, von Invocabit bis zum rosenroten Laetare, über Palmarum mit seinem bunten Bandgeflatter und den Lichtern der Palmprozession und endlich die steilen, mit Trauerviolett verhangenen Stufen der Karwoche hinauf, dann die Osternacht hindurch bis zum Aufrauschen des Ostersonntagsjubels.

Das Rieseln der Schneeschmelze, das Klingen der Tropfen begleitete den Weg, das Läuten der Spiegelmeisen, das noch unsichere Dichten der Buchfinken, das unfertige Komponieren der Amseln untermalte ihn, das Aufblühen der Knotenblumen, das zartrosa Erwachen der Schneeheide gab ihm Mut.

Und Ostern kam, trotz Unsicherheit und Zweifel. Es kam wie eine Begnadigung aus langer Haft, wie das Aufreißen der Tore eines dunklen Saales, in den plötzlich voller Macht die Sonne flutet.

Und draußen wurde alles neu. So gleicht der Gang durch Wald und Flur einer Fahrt durch unentdecktes Land. Was gibt es Schöneres als die Begegnung mit wiedererstandenem Leben? Es quillt wie Musik aus allen Waldwinkeln, noch mehr aus allen Vorhölzern, wie Musik verwoben aus Formen, Farben, Tönen, bald wie Zusammenklang voller Akkorde, bald geheimnisvoll lockend, wie kaum geahntes Panflötengetön vom sonnigen Waldrand her, in dessen sanftem Takt die Birkenblüten wehen und die Espenkätzchen zittern. Und weit hinaus verschwimmen die Fluren, aufblühend in Hoffnung und Zukunftsfreude.

Kann man eine Symphonie beschreiben? Sie beschreibt sich selbst. Kann man ein Gedicht zergliedern, ohne es zu zerreißen? Man muss es erleben als Einheit. Aber einzelne Tonfolgen mag man getrost im Gedächtnis verwahren, einzelne Worte kann man aufblitzen lassen wie funkelnde Edelsteine, wenn das Ganze zu schwer wird und zu voll für das Erfassen des kosmischen Gewichtes.

So ist es draußen, weitab von der Stadt, wenn der Wald anhebt zu singen mit den Kehlen der Zippen, wenn der Kiefernforst die Sprache der Misteldrossel spricht und der Haselbusch sich die Stimme des Rotkehlchens leiht. Und so ist es, wenn aus dem Farbenzauber der Feuchtwiesen, dem Regenbogengeschiller erwachender Riede das Rosenrot der Mehlprimel sich vergleicht mit dem Himmelblau der Enziane, mit der Sonnenfarbe der Schlüsselblumen. So ist es, wenn Waldveilchen um den Stamm seidenblaue Borten legen, wenn das Geblüm der Fingerkräuter die Findlinge gelb umkränzt, auf die das Blütengeriesel der Wildkirsche schneit.

Und Worte aus dem großen Gedicht sind die Zitronenfalter, die unverhofft vor dunklen Stammlücken dahintreiben wie fliegende Blumen, oder der Trauermantel, der am Espenstamm seine Flügelpracht zur Schau stellt. Dann weiß man: Es ist Osterzeit, und man erkennt, dass all die kleinen Kostbarkeiten Zeichen sind für unvergleichbar Wertvolleres, das mit den Sinnen allein nicht zu erfassen ist. Kein Aufzählen der Farben erschöpft das Bild, kein Aufklingen von Einzeltönen umfasst die ganze Weise. Denn das Ganze ist unendlich größer als seine Teile.

 


Unholdenkraut

Grell sind die Lichter und hart die Schatten. Am Waldstadel geigen die Heuschrecken. Alle Rehe gehen in Rot. - Dann blüht das Unholdenkraut.

Die Sonne hat den Zwölfer hinter sich gelassen. Noch spuken die Mittagsgeister. Sie schlagen alles, was lebt, mit Müdigkeit. Da werden die Füße bleiern und die Lider schwer. Bleib dort, wo der Tag den heißen Arm um die Randstämme legt, an der Grenze zwischen Licht und. Dämmerung. Im Rücken fließt das Regenbogengeschiller der Spinnenseile aus dunklen Räumen, blitzen knallgelbe Blüten aus der Strahlenrinne. Voraus kocht der Brand in Sonnenglut. Wo ist der Sommer mächtiger als hier?

Dort draußen glimmt es in stiller Üppigkeit, hohes, lichtpurpurnes Gekräut, ein ganzer Garten - Waldweidenröschen, Unholdenkraut. Darüber dreht sich der lautlose Sommerreigen. Vom Brombeergerank hebt sich der Kaisermantel und segelt prunkend in goldener Pracht vorüber. Über rosenrotem Kerzenwald zucken weiße Falter auf und ab. Und der Wald schläft.

Was erinnert noch an jene Zeit, als hier Leere und Ödnis herrschte? An einem grellblauen Herbsttag war es, da raste der Föhn. Er warf die Fichten und knickte die Kiefern. In wilden Verhauen lagen die Stämme. Der Grund war verwundet von stürzenden Riesen. Bloß lag er da, und die Schattenkräuter starben. So trauerte der Brand, bis der Frühling kam. Da erwachten sonnenhungrige Samen. Wer weiß, wie lange sie früher im Waldschatten gewartet hatten. Die Walderdbeere umschlang die Strünke, Frauenhaar legte goldgelbe Locken um die Wurfböden. Dann hoben sich rosig überhauchte Stängel, ein ganzer Wald. Es entfalteten sich schlanke Weidenblätter ans dem Rutenwerk. Was wird das noch werden? Und jetzt, wo der Rehbock freit, geht ein purpurner Jubel über das misshandelte Stück Land. Unholdenkraut steht in Blüte. Die großen roten Blumen türmen sich zu schwanken Trauben. Sanftrosa Kronen fangen die Strahlen ein, kühlen sie geben sie wieder als stille Sommerfarben.

Wenn die Schneeheide blüht, gleicht es einer Siegesfeier über die tote Zeit. Wenn die Almrosen brennen, ist es ein wilder Jauchzer des Kampfwald. Unholdenkraut glimmt sacht und stetig wie lichtes Gedenken, wie verklärtes Leid. Es glutet vor dunklem Hintergrund in sanftem Purpur, eine Erquickung nach heißem, ergebnislosem Gang. Es ziert die verwüsteten Orte und deckt die verlassenen Gründe mit guten, milden Farben. Es ruft den Sommer herein in den versteckten, abgelegenen Brand, übersehen, übelbenannt, verkannt, blühend zur Ehre des Herrn aller Wälder und seiner eigenen Schönheit. Die roten Kerzen glimmen im Harzduft des Julitages, Lichtzeichen der gelösten Stunde.

Die Knospen, die rund und leicht wie Blutstropfen die Türme krönen, öffnen sich zu Blüten.Groß sind sie und aufgeboten in verschwenderischer Fülle. Sie winken die Sammetfalter von weither, die Schwirrfliegen, die als Goldpunkte vor den Fichten stehen. Der Taubenschwanz hemmt die rasende Fahrt vor den Farbensignalen. In schlanken Kapseln reift die Samenwolle. Seidenflöckchen steigen auf im heißen Atem des Bodens, stehen licht vor dem Wald, verwehen vor dem Flügelschlag eines Weißlings. Die Pracht des Sommerwaldes schlummert in ihnen. Es schläft darin der Segen einer stillen Mittagsstunde, ruhend zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Lautlos segelt der Bussard über die Wipfel. Er schwimmt vorbei als Wahrzeichen einer andern Welt, in der Bewegung herrscht und Jagd. Denn hier ist die Freistatt der Ruhe. Stumm versinkt er hinter der grünen Wand. Weiter summt das stille Lied des Sommertages. Es zittert über den Bäumen, verklingt sacht in geträumten Weiten. Da liegt der Brand, eine purpurn vernarbte Wunde. Ein milder Schein webt über hohen Blütengarben. Es blüht Unholdenkraut das holde.

 


Die Wanderer

Es war ein Tag im August, wie es nur wenige gibt: Blauhimmel über dem ganzen Land, leuchtende Wärme, die Vormittagsstille der Reifezeit erfüllt von lautlosem Leben. Schon standen die ersten Kornpuppen auf den gelben Äckern, schon zeigte sich das erste Rot an den Schneeballbeeren, und die gemähten Wiesen der schimmerten in neuem Grün. Und ringsum im Sonnenbad die vergoldete Weite, Talzüge, Waldrücken, von scharfen Schlagschatten gezeichnete Gipfel und Grate, abgeschlossen durch die gleißende Fernerkette im Süden. Ein Rundblick, in dem sich scheinbar nichts ereignet als Ruhe und Licht, Wann werden die Ferien bewusster als dann, wenn sie nach Höhen- und Fernerleben langsam zerfließen, wann sind sie kostbarer?

Von der Bank am Aussichtsplatz steigt das Gelände ab, in Wellen durchschnitten von Wiesenwegen, gesäumt von Buschzeilen mit Wildkirschen und Lärchengruppen. Weiße Falter wehen hin über die Rasen, braune Falter revieren am Waldrand. Kein Laut außer dem Geschwätz zigeunernder Häher. Und da geschieht das Unerwartete. Wie der Blick die Lärchenwipfel streift, fängt er eine ungewohnte Bewegung auf, kaum erfasst, nur geahnt, einen gelben Wisch, der im Lärchenwipfel verlischt. Das war doch kein Häher, auch keine Ringeltaube! Das Glas sucht im Geäst. Dort ein weißlich-grüne Bewegung und jetzt - es war doch richtig gesehen - ein goldgelber Fleck im Genadel, der sich jetzt ausdehnt zur Vogelgestalt. Ist es möglich? Hier, um diese Zeit? Kein Zweifel, es sind Pfingstvögel, Pirole. Woher sind sie gekommen? Niemand weiß, warum sie gerade zu dieser Stunde an diesen Ort kamen, wo sie so selten sind wie ein Haupttreffer in der Lotterie und so unerwartet wie ein freudiger Brief. Kein Laut, nur ein paar Mal leise Bewegung im sonnendurchfluteten Nadelgrün. Und plötzlich, ohne ersichtlichen Grund, stieben ein gelber und ein grüner und noch ein gelber, der dem Feldstecher entgangen ist, heraus aus der Deckung. Dahin zieht die Dreiergruppe hinaus in den blauen Tag, verschwindet hinter den Eschen am Hügelfirst in Richtung nach Süden, so still wie sie gekommen.

Das Glas fällt an der Joppe herab. Noch lebt im Auge das Bild der Spätsommeroffenbarung. Noch wird es Tage geben, blau und warm und sommerlich. Aber schon fließt sachte die Vorhut der Frühzieher den Wendekreisen zu. Nicht Kälte, nicht Nahrungsmangel treibt sie fort. Noch tauchen die Hundstage das Land in Glut und ist der Tisch für alles Geflügel reich gedeckt. Welche geheimnisvollen Kräfte rufen sie zur gefährlichen Fahrt in ferne Gleicherländer. Still und unaufhaltsam folgen sie uralten Gesetzen, überkommen aus Erdaltern, die anders waren als heute. Ist es der Ruf ihrer Urheimat, der nachwirkt noch nach Jahrhunderttausenden? Lebensgesetzt erfüllen die goldenen Vögel in geheimnisvoller Stille. Der strahlende Tag erhielt durch sie eine neue Note. Wo werden sie morgen sein? Wie eine lichte Erscheinung traten sie auf und entschwanden wie ein flüchtiger Schatten. Und sie hinterließen die Erkenntnis großen Geschehens.

Weit unten flimmert das Betonband der Autobahn. Ohne Pause strömt dort der Verkehr, Wagen - Hunderte, Tausende. Hier vom Aussichtsplatz vernimmt man gedämpft ihren Lärm und merkt nichts von der giftigen Dunstschlange, die mit ihnen kriecht. Die Kolonnen toben durch den blauen Sommertag. Auch sie wandern - nach welchen Gesetzen? Die Wanderer hier, die Wanderer dort - wie soll man sie vergleichen?

 


In den "Luttern"

An den plattigen Steilhängen hält ihr zähes Gekriech den Grund. In den Kanern bindet es die ständig durchnässten, ewig wandernden Böden. Sie finden jeden noch so dürftigen Standplatz über dem Wald und folgen den Wassergerinnen bis hinunter in die Vorberge. Von den Lärchenböden bis hinauf an die Schneid sind sie hingestreut über die einstmals bewaldeten Mähder wie ein Inselarchipel. Und dort oben liegen die besten Reheinstände.

Wer vom Pächterhof dorthin zur Frühpirsch aufbricht, hat vorerst ein raues Steigen vor sich. Noch ist es stockdunkel. Die Bergschuhe suchen Tritt im rieseligen Grus des Kuhsteiges, verhängen sich in Fallästen, rutschen aus an Zapfenschütten. Finster schweigt der Wald. Zur Blattzeit hat er keine Stimmen.

Allmählich schleicht nüchternes Angrauen herein in den Bestand. Mehr geahnt als gesehen strebt der Dachs seinem Grabenbau zu. Wenn dann endlich das Gatter mit der Heuhütte dahinter erreicht ist, atmet man auf, denn das ist die Grenze zwischen der Steilstufe und den Mähdern.

Graues Frühlicht wischt die Sterne vom Himmel. Nur der Morgenstern flammt noch wie eine Fackel über den Schattenrissen der Lärchenwipfel. Die Sicht tut sich auf. Vom Heustadel am Waldeck kann man die meilenweiten Mähder überblicken bis hinauf zum Wetterkreuz oben am Kamm. Noch gibt es keine Farben. Wie ein riesiges graues Tuch dehnen sie sich, so weit man sieht, über und über gemustert von dunklen Flecken, den Grünerlenhorsten. Das Büchsenlicht beginnt und lässt die Dinge erkennen. Während man rastet und ausdampft, sucht das Glas die offenen Stellen ab. Dreihundert Gänge oben links auf einer Riedbreite steht Wild - eine Rehgeiß mit Kitz. Nebenan vor der Lutternwand rührt sich das zweite. Oben auf der Verebnung, wo ein Heuhüttengiebel aus den Stauden lugt, steht auch ein Stück, und nicht weit davon in der Grasrinne noch eines, halb verdeckt von den Erlenästen. Es könnte ein Bock sein. Fünfhundert Gänge mag es bis dorthin sein - oder mehr - das halbe Licht täuscht! Pirsche ein Stück näher heran, bis zu den drei Lärchen am Wiesengrat. Von dort sieht man hinein in die Gassen und Lichtungen des Lutterndschungels, wenigstens im näheren Umkreis. Noch zieht der Wind von oben.

Schon streift der erste Sonnenstrahl die Mähder. Die einförmig graue Weite wirft smaragdgrüne Wellen. Die Halme funkeln in schwerem Tau. Die dunklen Inseln im Mähdermeer wandeln sich in Rotten frisch glitzernder Grünerlenschöpfe, die über die Grassteige lange Schatten werfen. Jetzt erst, wo alle Farben klar und alle Gestalten greifbar werden, wo die Maßstabslosigkeit der Dämmerung geschwunden ist, begreift man, wie endlos weit die Hänge sind. Und soweit man schaut - Grünerlenbüsche, Zeilen, Wälle, Horste, Anflüge an den Felsblöcken, Bestände auf den Verebnungen, ein Irrgarten, durchsetzt von Schlüffen, von Laubenröhren, von Grasmulden und Schorfböden.

Die Rehgeiß mit dem Kitzchenpaar hat sich lang in den undurchsichtigen Einstand verzogen. Und das ist gut. Hinter dem Joch herauf schwimmt dar Steinadler, wie immer um diese Zeit, klaftert, vergoldet von der Morgensonne, hoch oben die Almbreite entlang und verschwindet weit draußen am Taleingang. Die Gefahr ist vorüber. Und jetzt dringt, von der Ferne verweht, Hütergeschrei und Glockenlaut von der Hochalm her. Dort wandert in langer Zeile das Vieh den Weideplätzen zu.

Es ist voller Tag geworden. Man könnte den Pirschgang beenden und irgendwo unter einer Wetterlärche den Tag bis zum Abend verträumen, wäre nicht Blattzeit und gälten in diesem Lutternrevier andere Spielregeln. Hier auf den Rasenflecken, den Laufgängen und heimlichen Korridoren zwischen dem Staudengedränge, kann es Anblick geben zu jeder Zeit, zumal jetzt im August, wo alle Rehe in Bewegung sind. Aber sehen und ansprechen ist zweierlei.

Rührt sich nicht dort ein roter Fleck? Schon ist er weg, hinein in den nächsten Lutternwall. Oben an der Stufe geht ein Stück flüchtig vorbei, gefolgt von einem zweiten. Schon verdeckt sie die dichte Erlenmauer. So kann das Versteckspiel gehen, stundenlang, wo man auch lauern mag. Wenn dann die Mittagssonne über den Einständen brütet, dann liegen die Rehe wohlgedeckt im schattigen Gitterwerk, sehen alles und werden nicht gesehen. Vielleicht ahnt man etwas wie eine Bewegung, wenn ein Stück die Lauscher von Fliegen freischüttelt, und man kann sich dann den Kopf zerbrechen, ob es Rehlauscher waren oder nur ein Zittern der doppelfarbigen Lanzenblätter einer Bergdistel, die man hier "Hasenohren" nennt.

Zu allem sind die Sträucher umhegt von feistem Gekräut, besonders in jenen Mahdparzelle, die heuer ungeschoren bleiben. An solchen Plätzen sammelt sich ein Gedrück von Hochstauden vieler Art um den Grund der Strauchnester. Da machen sich Kohldisteln und Bergdisteln die Plätze streitig, der Alpendost stellt über mächtigen Blättern die trübroten Rispen auf. Neben dem satten Blau der Schwalbenwurz-Enziane grellt das Goldgelb der Arnikakörbchen, und die violetten Feldenziane, die Künder des Spätsommers, ergänzen die bunte Gesellschaft. Hier ist gut leben, denn wo die Grünerlensträucher den Boden feucht halten, fehlt es nie an Wasser.

Als gegen Ende Mai die Spielhähne ihr Lied verlernten und dafür Baumpieper undMüllerchen zu Worte kamen, hatten die Luttern geblüht. Es war nicht der purpurne Rausch, in den zwei Monate früher in den Talauen die Grünerlen verfielen und bald darauf die Schwarz-Erlen an staunassen Orten der Mittelgebirge. Es war ein unauffällig bescheidenes, im austreibenden Laub halb verborgenes Blühen. Wenn aber die Ringamsel oder der Kuckuck oder ein Flug von Birkenzeisigen in die federnden Zweige einfiel, denn wölkte es goldgelb aus den Sträuchern und wehte als dünner Schleier über die apernden Matten hin. Jetzt aber, wo die Sonne sich anschickt, aus dem Zeichen des Löwen in das der Jungfrau zu übersiedeln und die Bergmahd beginnt, baumeln nur mehr ein paar braundürre Kätzchen an den Zweigen. Dafür verholzen allmählich die Fruchtzäpfchen, und schon zeigen sich an den Spitzen die von bläulichem Harz verpickten Winterknospen.

Es ist jetzt unruhig im Berg. Da brummen jetzt die Handmähmaschinen, da rauschen die Sensen, da tönt Sensendengeln und klirrt Sensenwetzen über den Mähdern. Mahder steigen herum, die Heuschlitten auf den Schultern, und ihre Rufe hildern über die Leiten. Die Rehe scheuen die Unruhe der Mahdzeit. Und so spielt sich das Brunfttreiben ab in der Deckung der Lutternwälle - oder überhaupt in der Dunkelheit. Man harrt bald an diesem, bald an jenem Ansitzplatz, bis man die Vergeblichkeit einsieht und weiterpirscht. Und so gelangt man schließlich an die obere Lutterngrenze, von wo man auf das grüne Gemugel heruntersieht und vielleicht feststellt, dass dort, wo man vor einer Stunde lauerte, der Gesuchte mit seiner Geiß in aller Gemütlichkeit dieLichte unten beim Vogelbeerbaum quert. Oder von dorther, wo man vor zwei Stunden passte und wo jetzt eine, in der Ferne winzigeMahdergruppe zu Tal geht, schreckt es in rauem Bass und verrät, dass es dort noch einen Bock gibt. Niemand weiß genau, wo überall im Labyrinth der Lutternflecken die Rehe stehen. Man weiß nur, dass man da heroben von ihnen umgeben ist.

Wenn dann abends aus den Mahderhütte der Rauch über die Böden schwelt und in der Dämmerung die Lutternflecken zusammenrücken und wieder zu dunklen Inseln werden, dann erst treten die Rehe aus auf die frischgemähten Rasenplätze. Wenn im schwindendem Licht ein ansprechen kaum mehr möglich ist, dann sieht man sie verteilt bis hinauf zur höchsten Mahdhütte. Am Morgen aber werden sie, noch bevor der Steinadler seinen Rundflug macht, wieder in den Luttern stecken, und das Versteckspiel wird weitergehen.

Nur an den Tagen, wenn der Nebel wie ein ungeheurer Polster die Mähder eindeckt, sodass höchstens die Lärchenwipfel da und dort aus dem weißen Gebrodel hervorstechen, steht das Rehwild auch tagsüber auf den Wiesen. Aber dann gewahrt man es erst beim Abspringen oder vernimmt überhaupt nur sein Schrecken. Und trifft es sich, dass man dann in den Gassen der Lutternwildnissteckt, dann weiß man kaum mehr, was oben und was unten ist, und man ist froh, wenn man irgendwo eine bekannte Heuhütte schattenhaft im Nebel schwimmen sieht und man herausgefunden hat aus dem verzauberten Irrgarten der Grünerlenlandschaft.

 


Um Lichtmess

Über Nacht hat feiner Pulverschnee die Straßen überstäubt, nur so viel, dass alles weiß ist, was eben liegt. Vor diesem lichten Grund heben sich Gartengitter und Bäume schärfer als sonst. Als Zug kohlschwarzer Gestalten verliert die Allee in die Ferne, und die Kronen vergittern einen Dunsthimmel aschgrau und möwenblau, im Südosten zerfließend in fahlem Gelb der verschleierten, aufgehenden Sonne.

Man spürt, dass ein Wandel vor sich geht. Sicher wird es noch öfters schneien. Aber dann schneit es nicht mehr hinein in die Winterdunkelheit, sondern hinein in das wachsende Licht. Und es scheint, als wären die schwarzen Stämme lebendiger als gestern und die Winterknospen dicker. Es scheint, als schallte der Spiegelmeise Läuten sicherer und der Kleiberruf lustiger als bisher und spräche aus dem Gimpelflöten schon die Ahnung dunkler Wälder und aus dem leisen Dichten der Amsel ein Wissen um Tropfenfall und Schmelzwasserrieseln.

Der Tag wächst. Niemand hält sein Wachsen auf. Die Sonnenbahn erhöht sich. Niemand kann es verhindern. Bald werden die Wälder schwarz sein und nicht mehr frostblau. Wer will es ihnen verwehren? Und bald werden in den kanadischen Pappeln am Brunnenplatz die ersten Stare schwätzen. Wer kann es ihnen verbieten? Das Jahr geht seinen Gang hin über Wirtschaft und Politik, über Regierungskrisen und Streitigkeiten, unbekümmert und unbeeinflussbar. Klein wird das Tagesgeschehen vor dem großen Hintergrund.

 


Jagerblut

Am rauen Eck steht die letzte Zirbe. Sie ist vom Wind geschoren, vom Blitz gespellt. Ihr zu Füßen kümmern die letzten Almrose. Kaum der zähe Zwerg-Wacholder widersteht hier dem dauernden Schneeschliff. Dafür überzieht eine geschlossene Decke von Gamsheide und Krähenbeere den Felsboden, spärlich von Gräsern und niedrigen Blumen durchsetzt. Sie alle blühen zu ihrer Zeit. Um Pfingsten aber geht ein Schimmern über den armen Grund. Dann liegt es ausgeschüttet da in licht purpurnen Flecken - das Jagerblut.

Hier war es vor alter Zeit, dass eine Untat geschah. Es lebte hier ein Jäger, der nichts besaß als seine Armbrust. Unten im Dorfe aber wohnte ein reicher Bauernsohn. Und beide liebten dasselbe Mädchen. Sie aber war dem Jäger zugetan. Darum hasste der Bauernsohn den Jäger bis aufs Blut. Weil er reich war, kaufte er sich Verleumder, die gegen den Arglosen aussagten, und er kaufte sich Wilddiebe, die im Revier schadeten, wo sie konnten. Der Graf glaubte dem Gerede und, erzürnt über die Verwüstungen im Revier, jagte er den Jäger aus dem Dienst. Am selben Tag war der Bauernsohn um die Hand des Mädchens. Er wurde abgewiesen. Da ging in derselben Nacht ein Meierhof des Grafen in Flammen auf. Niemand wusste, wer der Täter war. Von irgendwo herkam ein Geraune auf - der Jäger! Das Gerücht schwoll an - wer anders konnte es gewesen sein? Bestochene Zeugen schworen heilige Eide. Niemand aber fand sich, der für ihn sprach, außer dem Mädchen. Man zog aus, ihn zu fangen. Er aber wusste nichts von allem. Zu dieser Zeit verschwand das Mädchen aus dem Dorf. Die Wut des Bauernsohnes kannte keine Grenzen. Er ahnte, was das zu bedeuten hätte. Er hetzte mit seinen Spießgesellen zu Berg. Und als er an den Waldrand kam, sah er den Jäger bei der Wetterzirbe stehen; der schaute noch einmal über sein Revier und wandte sich dann zum Gehen. Und es flog ein Pfeil aus dem Hinterhalt. Er traf. Das Blut rann in die Gamsheide. Man fand ihn in einem Beet roter Blumen, die man noch nie gesehen hatte. Und später wurde seine Unschuld offenbar. Das war um Pfingsten. So erzählt man sich.

Auf die Wächte hat ein Spielhahn seine Balzrunen gezeichnet. Von ihrem Rand tröpfelt das Schmelzwasser in die Gamsheide. Die wagte es, ihre winzigen Blüten aufzutun, aber neben ihnen entfaltet sich rotes Geblüh Blüte an Blüte, als schwömme es auf den Zwergsträuchern. Sie sind so schön, die rosenroten, großen Primeln, dass sie auf der Liste der geschützten Pflanzen stehen. Aber es fällt niemand ein, sie zu pflücken. Die kurzen Stängel eignen sich nicht zum Strauß, und der Berg ist um diese Zeit menschenleer. Für die Schifahrer zu spät, für die Almer zu früh. So blühen die Zwerg-Primeln still in den Bergfrühling hinein und wissen nicht, dass sie um diese Zeit den ersten Schönheitspreis verdienen. Die graue Lapplandhummel sucht sie auf, vielleicht eine frühe Blaukante.

Alle Augenblicke jagt der Jochwind schwere Schatten über die Halden. Dann meint man, es sei der Winter wieder da. Oder er jagt neue Schneeschauer über die Leiten. Die Zwerg-Primeln drücken sich an den Boden, zehren von seiner kargen Wärme und blühen weiter. Und sie leuchten auf in jedem Sonnenstrahl. Über ihren Decken versucht der Jochlispel den ersten Werbeflug. Die Schneehasen suchen die bunten Plätze auf, und die Gamsen stehen stundenlang an den stumpfbraunen Aperstelle in der neuen Äsung, froh der überstandenen schweren Zeit mit ihren ewigen Latschenknospen und Lutternzweigen.

Dann geht Pfingsten herum, und der Vorfrühling im Berg. Die Zwerg-Primeln gehen unter in dem Wirbel an Farbe und an funkelnden Bergblüten. Die meisten haben dann die alten Stielteller abgeworfen. Man findet sie kaum mehr. Niemand beachtet die winzigen Blattrosetten im Gefilz der Gamsheide oder die rötlich überlaufenen Samenkapseln, die an der Bergsonne reifen und zu ihrer Stunde die Samen in die Runde streuen. Dann lösen andere ihrer Sippe die Zwerg-Primeln ab, der Blaue Speik oben auf den Matten, der Mannsschild im Gefels und andere.

Die ersten aber sind sie doch neben Eisglöckchen und Gamsheide, und der Balzjäger, der aus dem Altschnee in den roten Teppich tritt und eben mit einem Jauchzer das neue Bergjahr gegrüßt hat, wird still. Hunderte rosenrote Blüten, jede einzelne gefügt aus fünf roten Herzen, liegen wie ausgegossen da. Da mag ihm eine alte Geschichte in den Sinn kommen - die Geschichte vom Jagerblut.

 


Bank an der Eiche

Am Fuß der lang hinziehenden Waldstufe steht eine alte Eiche, und unter der Eiche hat man eine Bank hingestellt, genau an der richtigen Stelle, denn an den Sommermittagen wirft die Krone den Schatten darüber, und jetzt im Herbst, wo die Sonnenbahnen flach werden, haben Licht und Wärme ungehinderten Zutritt. Wenn man Oktoberbehaglichkeit erleben will - hier ist der Platz dafür. Von dem taubenblauen Schattenriss des Dorfes im Westen bis zur Sichtgrenze fern im Osten ziehen sich in der Sonne die abgeernteten Felder hin. Den Südraum voraus schließen die aufgestaffelten Terrassen in Dunstferne verschwimmend bis hinauf zu den leicht angeschneiten Kämmen.

In den leeren Feldern weckt der schöne Tag den Nachglanz des Sommers. Zwischen violetten Äckern und braunen Türkenstoppeln wagen grüne Wiesenbreiten die dritte Erneuerung. Wahrbäume und Heckenwälle an den Feldrainen zögern mit dem Laubriss. Noch hat kein Nachtfrost das Startzeichen gegeben.

In der Wärme träumt es sich schön von der eingebrachten Ernte. Drüben im Dorf füllen Heustöcke die Tennen bis zum Überboden. Kartoffelschütte lagern in den Verschlägen, und durch das ganze Haus zieht fruchtiger Duft aus dem Obstkeller. Erntedank, Kirchtag im ganzen Land und Herbstruhe in Feld und Flur.

Aus der Randeiche schwebt ein bunter Vogel, wie ein Zeichen der Buntheit des Herbstwaldes. Sein Gefieder wie nebelige Morgenröte, seine Flügel wie Licht und Schatten und im Blau einer Wolkenlücke.

 


Einige Tierschutzgebote

Bedenke, dass dar Tierschutz sich nicht auf Hunde, Katzen und andere Haustiere erstreckt. Diese stehen ohnehin in der Pflege das Menschen.

Lerne die Tiere der Heimat kennen, damit du weißt, welche besonders schutzbedürftig sind. Man liebt nur, was man kennt und man schützt nur, was man liebt.

Mach die Augen auf und beobachte die Tiere, dann wirst du von selber zum Tierschützer.

Töte kein Tier mutwillig, auch kein Kleintier. Auch jedes Kleintier, jeder Käfer oder Falter hat in der Schöpfung seiner Rolle zu spielen. Durch Ausrottung einer Art können im Laufe der Zeit unvorhergesehene Folgen entstehen.

Halte dir vor Augen, dass, abgesehen von einigen Plagegeistern und offenkundigen Kulturschädlingen, kein Tier allein schädlich ist. Vergiss nicht, dass man die Tiere überhaupt nicht nur in schädliche und nützliche einteilen darf. Diese Einteilung stammt von Leuten, die Stadt im Gehirn eine Rechenmaschine und statt dem Herzen einen Geldbeutel in sich haben.

Töte kein Tier, weil es hässlich ist. Aus der hässlichen Raupe wird der prächtige Falter. Du selber warst als Säugling auch keine Schönheit.

Wenn du Käfer oder Falter sammelt, dann lass dich dabei vom Lehrer beraten. Wildes Sammeln führt nur zur Naturverwüstung. Am besten ist es, die sammelt solche Dinge überhaupt nicht, sondern betrachtest sie lebendig.

Nimmt keinen Jungvogel mit nach Hause, wenn du nicht sicher bist, dass er verwaist ist. Meist wird er von den Alten aufgesucht, sobald die Störung vorüber ist.

Hüte dich, junges Haarwild - Rehkitzchen, Gamskitzchen, Hirschkälber - zu berühren. Alle Haarwildarten sind Nasentiere. Der Geruch der menschlichen Hand schreckt die Alte ab, die Jungen wieder anzunehmen. Meist ist die Alte bald wieder zur Stelle. Ist die Alte erwiesenermaßen nicht mehr am Leben, so melde den Fund dem Förster oder Jäger.

Achte im Wald auf deinen Hund. Alle Hunde wildern, wenn sie Gelegenheit haben, auch deiner. Durch Hunde geht z. B. in strengen Winter mehr Wild zu Grunde als durch Witterungseinflüsse und Naturkatastrophen.

Schütze die Niststätten der Vögel. Lass die Vögel an den Brutstätten möglichst in Ruhe. Dauernde Belästigung vertreibt manche Art, die sich sonst an die Nähe des Menschen gewöhnen würde.

Viele Tiere leiden heute an Wohnungsnot, besonders die Höhlen- und Buschbrüter unter den Singvögeln. Hilf ihnen durch Aufhängen von Nisthöhlen und durch Schutz der Hecken und Sträucher.

Bedenke, dass der Mensch auch für das unvernünftige Tier Verantwortung hat. Es ist selbstverständlich, dass du kein Tier quälst. Tiere sind Lebewesen mit Schmerzempfindung, kein Spielzeug.

Überlege dir, wie eine Welt ohne Tiere aussehen würde, ohne Wild, ohne Vögel, ohne Falter. Möchtest du, dass die Welt so aussieht? Wenn nicht, dann schütze die Tiere!

 


Rotkehlchenlied

Lichte Lärchen warten am Hang; dunkle Wälder harren in Grund. Am letzten Eisgerinnsel glimmen Blumen himmelblau und rosenrot.

Es sickert ein Lied durch den jungen Wald, wie Perlengeriesel so silberklar, wie Silbergetröpfel so schimmerhell, heimelig verlautend im stillen Geheg, andächtig verschwebend im weichen Tag.

Es dichtet der Wald eine Osterweise; ein kleiner Vogel steht am blühenden Salweide. Es zittert die feuerrote Liederkehle, und die Kätzchen silbern vor dem dunklen Fichtenhang. Es betet der Wald.

Jubel schwillt ober altes Leid. Aus Silberläuten steigt die Andacht feierlicher Auferstehung, das stille Ahnen der Erfüllungsseligkeit.

Rotkehlchen singt.

Aus Tiefen drängt die Kraft. Sie schafft sich Form im lichten Farbenschleier über Wald und Tälerweiten. Und Wunder strahlen neu. Wiesensteige schmücken sich mit Silbersternen; heimliche Wasserrinnen rahmen sich in Gold. Auf Espenzweigen wehen Seidenwimpel in die Osterwolken. Um Birkenstämme schmeicheln der Seidelbast und schwerer Duft.

Weit offen steht der Tag und neue Wesen warten, ihr Gesicht zu zeigen. Aus Bäumen seltsam grünend im milden Lichterspiel des Frühlingstages rieselt es flötenweich und silberklar. Salweiden singen über dunklen Wäldern.

 


Lidmücken

In den gewöhnlichen Handbüchern ist sie kaum angedeutet, in den einfachen Bestimmungsbüchern kaum gestreift - die wunderliche Gruppe der Blephariceriden, der Lidmücken. Wer die unscheinbaren, überzarten Mücken im Uhrschälchen vor sich hat oder sie in flachem Schnakenflug, die endlos lange Beinschleppe nachziehend, über dem Ufergekräut des Bergbaches geistern sieht, der kann sich aus dieser alltäglichen Zweiflüglererscheinung nicht eines Schimmer ihres Vorlebens ausmalen.

Der Bergbach poltert über Flachgeschiebe und Rundgeröll. Alle Spannbreit schafft er einen anderen Lebensraum. Drunten in den dunklen Kellergewölben der Kehlsteine, in den glasgrünen Kolkruhen, im Genistwirbel der Uferweitung, da lebt die Parade abenteuerlichster Gestalten, die Allertollsten sind aber nicht darunter.

Die hausen dort, wo sie niemand sieht, wo kein vernünftiger Gedanke ein Leben für möglich halten würde. Was weiß man von Kerbtiererlebnissen?

Über einen mächtigen, drei Fuß hohen Kalksteinblock fährt das Wasser in glattem Schwall, zersprüht in weißen Strähnen, zerstäubt im Blasenwirbel des Auswaschbeckens. Ein hineingehaltener Arm wird durch die Wasserwucht beiseite geprellt, mit Mühe hält die Hand, gestützt auf den glatten Stein, dem Anprall Stand. Und wie im Fließschatten unter einer dünnen Wasserhaut der Stein ans Licht tritt, da - rühren sich nicht dunkle Dinger am hellen Stein? In den vorsichtig-unsicher tastenden Bewegungen unvermutet Aufgestörter? Und wie die Sonne den Fall streift, dass im Sprühgürtel Regenbogen aufleuchten, da schimmern dunkle Flecken durch die Milchglasstreifen des Wasserschwalls. Da - dort - überall - in den wunderlichsten Stellungen, in merkwürdig langsamen, unverständlichen Bewegungen. Das sind sie die tollsten - Kinder der Liponeura, Lidmückenlarven, die Siedler im unmöglichsten aller Lebensräume, allen physikalischen Überlegungen scheinbar spottend.

Ein Brausebad ist nicht zu verachten. Aber man stelle sich eine Stunde lang unter einen Sturzfall! Im wildesten Sturzwasser hängen sie, die Lidmückenlarven wochen- und monatelang, frei und schutzlos. Dort, wo es am lautesten tost, dort wo es am hellsten rauscht, da ist ihr Reich, niemand macht es ihnen streitig.

Man ist gewohnt, unter den Zweiflüglerlarven wunderliche Gestalten und unbegreifliche Gewohnheiten zu erleben. Liponeura stellt alle in den Schatten. - Da hängen sie, den Dickkopf, in den zur Verstärkung ein paar Körpersegmente eingeschmolzen sind, in der Strömung. Ihre Stromlinienform teilt den Wasserschwall, ja er, der Gefährliche muss noch dazu helfen, sie an die Unterlage anzudrücken. Dahinter ein kurzer Körper, flache, gezackte Panzerringe! Und wenn es glückt, nach Abkehrung des Wasserstrahls eine der ängstlich und verwundert Tastenden vom Stein zu lösen, dann wird das Geheimnis ihrer Befestigung und Bewegung klar: Da stehen an der flachen Bauchseite jedes Ringes dunkel gefasste Kreisringe - Saugnäpfe an Stelle unnützer und zerbrechlicher Beine. Die kühnste und sicherste Lösung - und Liponeura "lacht" über den Wasserfall. Am Zackenrand des Leibes ragen runde Kegelzapfen - zum Abheben der Näpfe -, nicht zu kurz, aber auch ja nicht zu lang, damit auf alle Fälle eine Unterspülung vermieden wird. So geht es vorwärts, seitwärts, rückwärts je nach Belieben und Bedarf; dort wo das Wasser weiß ist vom Schaum, wo es gesättigt mit Luft die Kiemen zwischen Napf und Zapfen umspült, denn so wollen es die empfindlichen, sauerstoffhungrigen Dinger: Nur dort können sie leben, wo das Wasser rasch und kalt ist.

Dort weiden sie, abgeschlossen von der Außenwelt, die Algenrasen der Fallsteine ab, unerreichbar sogar für Wasseramsel und Spitzmaus, da häuten sie sich, da wandeln sie sich am Gipfel des Jahres in dunkle, flach an den Stein gepresste Puppen, die mit lustigen Atemhörnchen in das Brausewasser hineinlangen.

Und das zweite Leben? Im Sonnenschein spielen die zarten, unendlich langgliederigen Mücken, feiern Hochzeit, geben ihre winzigen Eier dem Rumpelwasser. Wann sind sie gekommen, und wie? Wie retten sich die elfenzarten Wesen aus dem wilden Wasser? Wie überhaupt bringen sie es im Brausefall zu stande, die Puppenhülle zu verlassen? Wer weiß es? - Rätsel der Liponeura

Vom Polterwasser weht es kühl. Der Luftzug spielt mit dem Hängelaub der Eberesche. Der Aufwind trägt den Hochzeitstanz der Bachgeister. Silberpunkte flirren in Schattenräumen, lichte Schillerflügel, zarte Lichtgestalten! Lidmücken sind auch dabei. Wer liest aus ihrer Form Herkunft und einstiges Dasein?

 


Waldrausch

Ein feueräugiger Vogel flog über den Wald. Er glitt wie ein Schatten zwischen den Wipfeln hin und versank im Gedämmer des Bestand. Dann läutete es irgendwo im dunklen Forst, es läutete bald tief and hohl, bald silberhell und glockenklar, bald schien es fern, bald schien es nah. Es war der Ruf erstehender Waldsommerheimlichkeit.

Da wachten die Fichten auf. Was ist im Bergwald vorgegangen? Sind das dieselben düsteren Schattenlehnen, die gleichen rauen Stangenhölzer, sind das die wilden, finsterenLeitenwälder von einst? Mit glühendroten Flämmchen sind die Wipfel übersät. Es schimmert feurig rot von allen Pendelzweigen, es leuchtet satter Purpur aus den Vorjahrstrieben. Im Trägerwerk der Endzweige strahlen sammetrote Kerzen, wie Rubinglas funkelnd im Spiel des Widerlichtes.

Maisonne webt Strahlenfäden in den Wald. In die mächtige Schirmfichte vor dem Holz fällt ungestüm der blaue Zaubervogel. Die Zweige schwanken. Ein lichtes Wölkchen steigt empor, den Gauch mit goldenem Puder überschüttend. Was war das? Der Wind rührt an den Wald. Jäh rauschen die Fichten auf. Es wogt und raucht. Gelbes Gewölk zerflattert vor den grünen Räumen. Brennt der Wald? Die Fichten blühen!

Die ernsten Bäume, die jahrein, jahraus zu schlafen schienen, die geduldig still ihr ewiggleiches Pflanzenschicksal trugen, leben auf. Was ist der Frühjahrsschmuck der Vorhölzer, was das bunte Gefunkel der Wiesenblumen in den Maiengründen gegen das wilde Auflodern des Lebens in den ernsten, hartgewöhnten Waldbäumen? Unzählige rote Tore springen auf. Es wogt und wallt. Die Bergflanken verstecken sich hinter dichten Schleiern, um die Kronen tanzen gelbe Wirbel.

Im Süden steigen weiße Wolkenkämme auf. Die Hitze drückt. Der Föhn erwacht. Er haut mit beiden Fäusten in den Wald. Es saust und rauscht, es flattert und wogt - Waldrausch, Brand und Hexentanz. Grün wird der Himmel und gelb das Land. Die Ferne versinkt. Die Stämme wandeln sich in gelbe Schatten. Es wirbelt und flutet und fällt wie Dämmerung in das Holz. Sind die Bäume toll? Sie werden nicht müde, den unheimlichen, lebendigen Staub auf das trockene Land zu schütten. Die Rehe drücken sich in den tiefsten Jungmais, der Vogel duckt sich ins Gezweig, tief zieht der Förster den Hut ins Gesicht, die Kehle brennt, die Augen schmerzen - und der Segen will nicht enden. Der Wald ertrinkt in Staub. Der Boden überzieht sich mit gelben Schwaden. Die Blößen und die Wege, die Meiler und die Schläge färben sich. Der Wind packt den Staub und jagt ihn über das ganze Land - in Dörfer und Städte. Er dringt in alle Fugen und schleicht sich in alle Ritzen. Es gibt dagegen keinen Schutz, denn so klein sind die Körner, so leicht, und der Baum hat ihnen Flügel mitgegeben, die sie tragen, sogar, wenn sich kein Lufthauch rührt.

Der Fichtenstaub fliegt. Und so flog er vor Jahrtausenden. Millionen der winzigen Dinger fielen in Moore und Weiher und versanken im Schlamm. Moderlagen schützten sie und so blieben sie erhalten, so wie sie damals über das verlassene Land geflogen waren. In der Tiefe der Sümpfe findet sie der Forscher zwischen Schlick und verkohltem Wurzelwerk. Er liest daraus die Geschichte des Waldes. Da blühten die Fichten, wie sie heute blühen. Vor Jahrmillionen aber, als es noch keine Alpen gab, war ihre Sippe groß und mächtig. Keine Blume blühte damals, kein Vogel sang. Panzerechsen krochen träg in der Tropensonne, und der Nachthimmel war rot von der Glut der Feuerberge. Das war die hohe Zeit der Nadelwälder. Sie herrschten, bis die anderen kamen und sie zum Teilen zwangen. Da wanderten sie in den kalten Norden, in die hungrige Heide, in die rauen Berge.

Das ist heute ihr Reich. Wenn die Maiensonne so warm auf den Lehnen liegt, dann blühen sie in verschwenderischer Urzeitfülle. Der gelbe Staub fällt aus ihren Kätzchen. Milliarden von Körnern gehen verloren - es ist einerlei. Wenn nur ein winziger Anteil die Rubinkerzen an den Kronenzweigen trifft! Denn die sind die Zukunft des Waldes. Hernach erlischt die Kerzenglut. Grüne, feste Zapfen baumeln im Gezweig, und im nächsten Frühjahr flirren die Flügelsamen auf den Altschnee. Heute aber blühen die ernsten Bäume. Es wölkt der Goldstaub in unheimlicher Fülle - Waldrausch!

 


Maskerade

Nach langen Regengüssen hat sich der Bergwald erneuert. Der Schuh versinkt in strotzenden Schlafmooskissen. Alles Gras ist geschmeidig vor Nässe. Kühler Duft fließt aus den von Adlerfarn gesäumten Grasrinnen, und die Radspinnen sperren den Pirschsteig> mit Schönwetternetzen.

Was gibt es Neues draußen im Wald? Die Rotspechtbrut zigeunert im Hochholz, der alte Haselhahn narrt den jungen Jägersmann, und der Rehbock freit. Und der stille, wochenlang trübselige Wald hat Farbeneinfälle. Bisher fehlte dem Nadelboden der finsteren Stangenhölzer jeder Schmuck, und die halbhellen Hochwaldgründe mussten sich mit der sanften Zier der Sauerkleeherzen begnügen, neben dem bescheidenen Geblüm des Wachtelweizens und dem anspruchslosen Grün der Waldmoosvölker. Und jetzt - auf eins, zwei, drei - ist der Wald ein Farbentopf. Das prahlt und prangt und schmettert heraus in grellfarbiger Großtuerei mit bunten Klecksen und farbigen Spritzern. Feuerrot, blutrot blitzt es am Rand der Jungwüchse, schattenblau, goldgelb, milchweiß schimmert es aus dem Stangendunkel. Neben den erwachenden Silberdisteln der Lärchenwiesen spiegelt es in goldgelber Pracht und in samtbrauner Behäbigkeit, in selbstbewusstem Wichteltum hockt es imTaxenabraum.

Mag man sie Pilze heißen - Pflanzen sind es in Koboldmasken. Pilze da, Pilze dort, Pilzduft, dumpf und salzig, über Mulm und Moder. Augusthitze dampft im Wald. In der Backofenluft der Stangennester sirren die Stechmücken. Blattzeit - Pilzzeit. Es hebt die Schollen und spaltet den Boden, es zwängt sich ans Licht, sorglich verpackt in Windelhüllen, dickköpfig und rund, schleierig getarnt, setzt Bäuche an, deckt Polsterhüte darauf, spannt elegante Schirme über dem Waldgras, öffnet dem Regenwasser flache Kelche und tut groß und drängt sich auf in schreienden Farben, wie sie der blütenarme Bergwald das ganze Jahr nicht sieht. Die stillen Waldorte sind auf einmal überladen mit hexenhaftem Leben. Zahllos sind die Namen: Fladerlinge und Zaderlinge, verdächtig-bescheidene Hallimaschgesellschaften, leichtsinnig ähnliche Täublinge, die Korallenstöcke der Ziegenbärte, die Raubvogelwämser der Habichtspilze, das kleinliche Gefusel der Musserone, die lockend gefährliche Pracht der Fliegenpilze und endlos viele andere, biedere Waldbürger, verdächtige Kerle, übersehene, geachtete, gefürchtete Persönlichkeiten.

Da stehen sie, überschüttet von dünnem Genadel, bedeckt von Erdgebrösel, besprüht vom Tau. Sie winken den Waldgänger heran und narren ihn mit spöttisch-hinterhältigem Geblinzel herunter in die dickste Dickung, hinauf in die abschüssigsten Palfen, hin und her. Sie kleiden sich in hundert Gestalten: glatt und blank, verdreht und verknorzelt, vom Wild benagt, von Schnecken angefeilt, von Larven durchwühlt.

"Das bin ich!" schreit die Kappe - "nein das!" - Ja, Schmarren! Sommerwaldspuk. Kobolde sind es, die ein kurzes Leben führen zwischen gut und schlecht, farbige Launen des Hochsommers - oder vielleicht doch mehr? Dort, wo der Dachs im Mulm gestochen hat, an den Scharrplatz der Haselhühner und den Plätzstellen der Rehe, überall dort, wo der Waldboden frische Wunden weist, tritt ein bleiches Fadengeflecht zu Tage. Es hält Nadelwerk und Krume zusammen, durchwirkt den Grund und umspinnt die Wurzelpeitschen, unauffällig, allgegenwärtig. So weit grüne Behänge wehen, so weit Jahresringe schwellen, unterkriecht das geheimnisvolle Netz den Wald, gestaltlos, Pflanzen im Wesen, gekleidet in den Panzerstoff der Kerbtiere - Pilzgeflecht, wunderliche Mischung. Am Hochzeitsplatz dieser tausendarmigen Dunkelwesen steigen bunte Hüte aus der Erde. In tierhafter Schnelligkeit sind sie da. Sie reifen. Milliarden winziger Sporenstäubchen verweht der Wind, schmierige Schnecken verschleppen sie, Waldmaus, Eichhorn, Reh und Dachs streifen den lebenden Staub ins Moos, der Regen verschwemmt ihn in Wegpfützen und Waldtümpel. Und neues Dunkelleben ersteht im Wald. Es sprießt nach allen Seiten, formt sich zum Pilzweg, schließt sich zum Hexenring. Das Wundernetz, das bleiche, hütet ein großes Waldgeheimnis. Ja, es ist wahr - es erhält den Wald! Die Pilzgnomen pflegen heimliche Baumfreundschaften auf Lebenszeit. Wer ist es, der verstohlen Säfte tauscht mit Fichte und mit Lärche? Wer ist es, der die Buche liebt, der die Kiefer betreut mit wässerigem Gebräu und mit Lebenssalzen? Die Pilze verraten ihre Freunde nicht. Dem Neugierigen antworten höhnische Wichtelgesichter...

Erntehitze drückt im Holz. Auf den Bränden reifen die Beeren. Im Seggenwall der Waldsümpfe rascheln sommerliche Wasserjungfern. Da hocken die Pilze, grellbunt hineingemalt, farbig herausgestellt vor dunklen Waldgründen, über denen die Schwüle zittert. Ihre Gesichter gluren aus dem Nadelfilz. Und so spuken sie gemütlich-unheimlich im grünen Halblicht - Waldschicksale und Waldrätsel.

 


Der Blutweiher

Der Jochwind pfeift über die Schneid. Er kämmt die steifen Schmielen, er bürstet die krummen Seggen, er windet sich seufzend durch das wüste Getrümmer, stöhnt und jammert im Blockwerk der Lahn. Es ist ein Lied, so wild und verlassen wie das Land unter dem finsteren Absturz der roten Wand.

Vor griesgrauer Zeit haben Ferner, die heute längst verschwunden sind, die Kare geformt. Sie haben die Grate geglättet und die Mulden aus den Lehnen gehobelt. Wo damals das Eis kroch, breiten sich heute öde Lammern.

Der Steinschmätzer wippt am Schieferblock, und der Jochscholderer schlägt die Stahlzither. Bis tief in den Sommer hinein liegt der Altschnee in den Karen. Er speist die dunklen Bergaugen, die da und dort aus den Gruben blinken. Schwarz sind sie und glatt wie Eisenplatten, und jedes hat einen anderen Blick.

Unter der Schneid liegt eine grüne Mulde. Der Bewuchs verrät die Lägerstatt. Da steht das Galtvieh an heißen Tagen um ein sonderbares Wasser. Das ist kein Tümpel wie die anderen. Wer über den Kamm herübersteigt, hält an und starrt in die Senke. Drunten glimmt ein breiter blutroter Ring, ein Feuerfarbenspiel um dunkles Geblinker. Ist es Täuschung? Ist es Blendwerk? Wenn der Steinschlag in den Wänden klappert und der Landwind einen Schub Bachrauschen heraufreißt aus dem Graben, dann fallen dir ungereimte Dinge ein. Ist es ein Blutweiher? Unheimlich und grell sticht die rote Farbe aus dem stumpfen Grün der Galtalmen, aus der Eintönigkeit der rostigen Lammern. Es ist ein absonderlicher Tümpel, um das seichte goldbraune Wasser, über dessen Seggengrund die Kreiselschatten der Wasserreiter huschen, liegt es blutrot ausgegossen wie frischer Lungenschweiß. Vorsichtig schnuppern die Kälber, bevor sie in die Tränke waten und wenn sie aus dem Wasser steigen, sind ihre Fesseln rot. Ist es wirklich Blut? Wie kam es nur dazu?

Es war einmal zur Zeit des Zwischenzuges. Aus dem klaren Abendhimmel klangen fremde Laute. Dann rauschte es am Weiher in der einsamen Sattelmulde. Da standen die Uferläufer und sicherten in die Nacht. Dann geisterten sie um den dunklen Tümpel. Wer weiß, woher sie kamen? Und wer weiß, woher einer aus ihnen einen kleinen blutroten Fleck am Ständer hatte? Als dann das Geflügel flötend und pfeifend in die Nacht hinaus verschwand, schwamm im Uferwasser das kleine rote Ding. Kein Mensch hätte es wahrgenommen. Als aber nach Wochen der Halter auf den Sattel kam, um die Schafe zu salzen, die den Sommer lang frei im Gewand lebten wie die Gemsen, da gewahrte er am Tümpelrande kleine Flecken, rot wie Blut. Kein Wunder, dass er an Hexenspuk und Unheil dachte.

Aber es hatten sich nur die winzigen Blutalgen vermehrt. Und sie vermehrten sich weiter. Je mehr das Wasser zusammensickerte, umso blutiger wurde es. Es ließ rote Uferstreifen hinter sich. Das Vieh stand an warmen Sommertagen in der Tränke, die Sonne prallte auf den Spiegel. Das rote Leben schäumte im warmen Becken. Milliarden wurde es. Niemand sah das wahnsinnige Gewimmel und Gezappel der winzigen Geißelwesen, sie waren zu klein. Was auffiel, war grelle Farbe, schäumendes Blut. So erhielt das Gewässer seinen unheimlichen Ruf - "der Blutweiher". Die anderen Bergaugen führten wohl zu kaltes Wasser. Das taugte den Blutalgen nicht. Sie wurden nicht heimisch darin, wenn auch der Felsenrotschwanz, der Jochlispel und mancher andere bald in diesem, bald in jenem badeten und im Gefieder die roten Dinger massenhaft verschleppten. Weit und breit kannte man kein anderes Wasser dieser Art. Der Sattelweiher aber "blüht" seit jener Nacht in manchem Sommer.

Über den Grat schleicht der Wind und flüstert im steifen Gras. Der Bergpieper gleitet im Flatterflug über die Mulde. Er singt das Lied der Bergstille. Die Sonne prallt auf granatgespicktes Glimmergestein. In der Senke schläft der rote Weiher. Trifft ihn das Licht, so wird er zu Feuer, fallen die Wolkenschatten darauf, so wandelt er sich in dunkles Blut. Wer über die Schneid kommt, steht und schaut gebannt. Er weiß nicht, ob er wacht oder träumt. Gibt es doch mancherlei unbeschrieene Dinge in der endlosen Einsamkeit der Galtalmen, in der verlorenen Karwildnis von Salfeins.

 


Die drei Frösche

Eine Woche vor St. Gertraud war alles weiß. Dann sprang eines Tages über die Föhnmauer der Frühlingssturm herein, machte die frostblauen Wälder tintenschwarz und schälte aus der zerfließenden Decke violette Äcker und missfarbig braune Wiesen. Und alle Wege und alle Steige rannen.

An einem solchen Waldsteig war es, da erschien unvermutet der Erste. Er hockte zwischen Schmelzgerinnsel und Apergrund im Moos. Er machte einen Sprung vor den Schuhen weg, kam dabei aus der Richtung und nun wartete er unschlüssig, wie einer, der sein Ziel aus den Augen verloren hat. Er nahm sich aus wie ein verlaufener Zwerg, verloren im unbändigen Toben der Baumriesen ringsherum und doch wie einer, der scheinbar etwas wollte. Aber was wollte er eigentlich da im föhngepeitschten Wald, wo er sicher nicht hingehörte?

Der nasse Steig kriecht ein Stück weit durch Staudengefilz, dann den sonnseitigen Hügelgrund entlang zwischen Wiesenplan und Wald. Diesem Platz macht das südseitige Altholz die Windmauer. Hier ist es still und warm. Darüber hin in der Höhe aber tobte weiterhin der Sturm. Er schlug die Wipfel hin und her, kämmte sie tief herab, ließ sie in der Atempause auffedern. Er beugte sie bis zum Brechen. Und er griff ungestüm hinein in die Kabelharfe der Überlandleitung.

Was für ein Sturmlied! - Vielstimmiges Getön von Riesenflöten, zerrissen von Dissonanzen, Klänge gewaltiger Äolsharfen, hineinwogend in das Brausen und Zischen und Stöhnen der Äste. Unten aber an den mild bestrahlten Steinriegeln spielten die ersten Frühlingsfalter, Pfauenaugen und Kleine Füchse. Ein "Goldblatt" taumelte durch die aufsteigende Bodenwärme. Und hier war es, dass plötzlich der Zweite erschien. Er flog in langen Sprüngen heraus aus dem Schatten der Jungwüchse, die grell besonnte Böschung herab. Er sprang unbedenklich heraus in die offene, deckungslose Wiese, hinein in Sonne und Wind, als wäre er gehetzt. Aber keine Pfote, keine Schwinge, kein Schuh rührte sich im Unterholz. Er kam aus eigenem Antrieb. Eine Weile lag er still im fahlen Rasen, wie ermattet, unbeweglich wie ein kleiner brauner Stein. Dann änderte er unerwartet die Richtung, drehte seinen Kopf gegen Westen, machte ein paar lange Sätze, krabbelte ein Stück langsam und unbeholfen und versank wieder im fahlen Gras. Was konnte ihn nur veranlasst haben, die schützende Dickung zu verlassen, sich hineinzustürzen in das Abenteuer einer feindseligen Landschaft mit stechender Sonne und austrocknendem Wind? Waren es Kräfte vergleichbar mit dem Frühlingssturm im Wald, der immerzu weiterheulte und die Lüfte mit Urweltgetöse erfüllte? War es der unwiderstehliche Anruf des allgemeinen Erwachens? Es musste wohl so sein, denn, noch hatte er keine halbe Baumlänge zurückgelegt, da war auch schon der Dritte da. Er schoss, wie geworfen, aus dem Bestand heraus, fuhr in langen Fluchten hangab, saß still, keinen Hasensprung weit vom ändern. Ob sie einander sahen? Vielleicht. Aber sie kümmerten sich nicht um einander. Der gleiche Trieb jagte sie den gleichen Weg. Wohin? Unbeirrt sprangen sie im Abstand nebeneinander her, setzten an, saßen still, während der Krüselwind altes Falllaub an die Böschung wirbelte. Was war nur mit ihnen? Ihr Tun hatte in diesem Hexenkessel des Sturmtages etwas bedauernswert Hilfloses an sich, und doch lag etwas fast Unheimliches über diesem bedingungslosen Spiel mit dem Leben. Sie glichen Schlafwandlern und verfolgten doch, wie hellwach, irgendein fernes Ziel.

Oben unter zerschlissenen Föhnwolken gaukelten die Krähen in toller Fahrt. Ahnten die Wanderer etwas von dieser Bedrohung? Am Abend pflegte der Fuchs die Zäune entlang zu pirschen, und die Ohreule suchte die Wiesen ab. Kannten sie diese Gefahren? Sie liefen in Gefahren hinein und kamen aus Gefahren. Monatelange tiefe Starre der Bewusstlosigkeit lagen hinter ihnen, bis der wilde Auftakt einer neuen Zeit sie alle zugleich über die Grenze zwischen Sein und Nichtsein hob und alte Erinnerungen aufwühlte, die sie hinaustrieben in ein waches Leben.

Es waren ja nur kleine, braune Grasfrösche. Aber wie sie unbedenklich in den rauschenden Vorfrühlingstag hineinsprangen, besessen von Lebenswillen, da schien ihre Rolle im großen Aufbruch mächtiger als die der aufblühenden Haseln, als das dumpfe Sprossen der Gräser und das Öffnen blühbereiter Vorholzblumen. Sie waren auf einmal wieder da in all ihrer Beweglichkeit und ihrem unbeirrbar gesteuerten Drang, die Zukunft ihrer Art zu sichern, der sie dorthin trieb, woher sie einst gekommen.

Hinter der Waldmauer im Südwesten liegt ein verlandender Weiher, von dessen Ufern jetzt das Eis zurückweicht. Ob die Drei dorthin strebten? Wer führte sie dabei? Woher kannten sie die Richtung? Weit ist der Weg dorthin für Froschfüßchen und voller Hindernisse. Ob sie ihn wohl erreichen werden?

 


Erwachen

Damals im Weinmond hatte ein Wildkirschenstrauß die Stube geschmückt. Die blutroten Blätter tropften auf das Tischtuch, bis nur mehr die Winterknospen übrig waren. Dann stand der graue Steinkrug leer für viele Monate. Und endlich, endlich an diesem ersten blauen Tag im März prangte ein neuer Strauß darin. Aber nicht mehr altes Falllaub rieselte daraus, sondern stäubendes Haselgold. Vor Fichtenzweigen silberten die Seidenpfoten der Salweiden. Sie drängten sieh aneinander wie draußen am Waldrand.

Dieser Strauß hatte es in sich. Schon am hellen Tag rannte jeder, der in die Bude> trat, schnurstracks auf ihn zu, als wäre er der Hausherr und nicht ich. Und dann kam der Abend. Die Amsel im Baumgarten schloss ihre ersten Märzdichtungen mit schallendem Gezeter. Unten setzte ein Katzenduett ein. Heroben aber in der Stube fing der Frühlingsvollmond an, seinen Spuk zu treiben. Er bemalte die Wände mit verrückten Schattenfiguren. Er kroch blau auf dem Boden herum, überbrauste die Möbel und machte sich über den kalten Ofen lustig. Um den Strauß am Tisch aber bemühte er sich am allermeisten. Er vollführte um ihn einen wahren Balztanz. Eine Auflage davon schien ihm zu wenig. So goss er ihn noch einmal als bizarres Schattenzickzack über das Tischtuch.

Vom Bett aus sah ich diesem Treiben eine Weile lang zu. Aber, was war denn das? Nun ging der Strauß daran, unter den Mondblicken sein Wesen zu verändern. Blies nicht dieser Schein die Weidenkätzchen auf zu schimmernden Lichtern? Zerrte er nicht die Haseltroddeln aus zu langen Zierbändern, die aus dem Fichtengezweig flatterten, wie die Schleifen am Firstbaum ? Alles an ihm dehnte und streckte sich. Ich beobachtete ihn mit wachsendem Misstrauen. So also verhielt es sich mit diesem Strauß! Er zeigte sein wahres Gesicht erst unter den Verwandlungskünsten des Ostermondes. Und er hub an zu wachsen. Er gliederte sich auf und füllte den ganzen Raum. Was sich da unter dem haltlosen Gezweig verborgen gehalten hatte, das war ja ein nächtlicher Wald. Aus dem Dunkel seufzte es: "Hu... hu..." - tief und hohl. Ich merkte noch, wie ich aus den Decken fuhr und nach dem Fernglas langte. Griff da in der Astlücke nicht ein Eulenkopf mit spitzen Federohren in den Mond? Ich stieß mich an einem Astzacken. Der war kantig wie eine Tischecke. Noch spürt man den abwandernden Winter. Ich hätte doch das Lodengewand nehmen sollen. Noch zieht es reichlich kühl von den Schneefetzen her. Krokusbecher blinken wie Mondlichttropfen im Grund. Und es glitzert rundum wie rieselndes Schmelzwasser.

Und plötzlich Dunkel und Stille. Der Mond hat sich um die Hausecke gedrückt. Wo bleiben Lichtzauber und Wald? - Ja, wie denn? Ich finde mich mitten in der Stube im Nachthemd mit Hut und Feldstecher, stolpere über einen umgeworfenen Stuhl. Zum Donnerwetter! Ach, da steht er ja dieser Strauß, der verhexte! Aber nun weiß ich, was er wollte. Morgen werde ich draußen sein im Mondlicht unter blühenden Salweiden, bei Eulenruf und Schnepfenstrich. Dort will ich es erleben, wirklich und wahrhaftig - das große Erwachen.

 

Die Geschenke

Als Stille war, da lag vor uns das Geschenk der gleitenden Farben. Aber es waren keine Farben mehr, sondern schwebende Blicke. Und die Blicke kamen von irgendwoher aus dem Unendlichen.

Und vor uns lag das Geschenk der tausendfältigen Töne. Und wie das Rauschen aus Flöten und Singen näher kam, da waren es keine Laute mehr, sondern Anrufe, geschaffen zum Widerhall, geladen mit kosmischem Sinn.

Und die Flut der Gestalten war uns gegeben als Geschenk. Sie drängten sich aus dem Raum und aus der Zeit. Da war es offenbar, dass die Gestalten Melodien waren aus einer großen, unverstandenen Symphonie.

Wir suchten die Farben und Töne und Gestalten zu fassen. Aber der Rahmen war viel zu eng. Wir suchten sie in Worte einzufangen, aber die Worte waren viel zu arm; und wir suchten sie als Lied zu singen, aber das Lied war wie ein blinder Spiegel. Und wir suchten die Geschenke zu vereinen in einem Gebet, da wurden sie durchsichtig wie Kristall, und man sah durch sie einen Schimmer des Ewigen.


Almherbst

Eines Mittags wurde es still um die Alm. Da legte der Steinschmätzer sein Wanderkleid an und fuhr zu Tal. Eines Morgens lag es glitzerweiß auf dem Almanger, da verlor der Jochlispel seine Stimme. In einer langen Nacht klangen fremde Laute aus dem Halblicht der Mondbahn. Da packte es alle mit einem Mal. Da verschwand der Berglaubsänger, da verzog die Jochamsel, des Bergpiepers kläglicher Warnruf verstummte, und das Müllerchen hatte ausgeklappert. Alle waren sie dahin, alle, denen eine Ahnung im Blute steckte von weiten Ländern, von fremden Tieren, von dunklen Menschen. Jetzt erst wusste die verlassene Alm, was Stille ist.

Dann kam der Föhn. Er hielt Nachschau in der Alm. Er riss die Latschen auseinander, rollte dürre Wasen auf den Almsteig und riss das grüntrockene Laub von den Lutternzweigen. Er pfiff auf dem Schornstein der Kaser einen wilden Marsch und schmiss den morschen Lattenzaun durcheinander. Drei Tage lang führte er das große Wort, dann verlor er sich im Tale. Erschöpft schliefen die Berge im Wolkenbett viele Tage und Nächte lang. Als die Sonne wieder kam, sah sie ein anderes Land.

Stille Flammen leuchten im finsteren Bartwald. Das sind die Lärchen, die ihr goldenes Genadel verrieseln. Feuerrot schimmern die Vogelbeeren aus dem Grau der Waldschrofen. Am Almsteig raschelt braunkräuseliges Lutternlaub unter den Tritten, und blaue Reifmatten liegen im Schatten der Kegelfichten.

Ein gläserner Tag fließt über die Berge - still! - keinen Weckruf, keinen Jodler! Das Land ist im Entschlummern. Lautlos tanzen dunkle Eintagsfliegen über der Almquelle, und die Bergmeise kullert leise im schwarzen Holz. Wo sind sie alle, die Getreuen, die eins sind mit den wilden, verschwiegenen Rauwäldern, mit den weiten, offenen Höhen? Wild und heimliches Standgeflügel? Vertraut ziehen die Almrehe den verlassenen Steig entlang. Langsam verziehen sie sich in die Lutternbüsche. Und wie man gemächlich dem ausgetretenen Steige nachhängt und in dem vom Reif gelockerten Lehmgrund ihre Fährten abspürt - da steigt aus dem Bartwald ein silbernes Lied. Wer sinkt das Lied der verrinnenden Farben? Spinn deinen Werberuf, kleiner Haselhahn, die Flinte ist fern - und es wird Zeit. Das Torfmoos blutet im nassen Grund, und die Höhen flammen. Herbstfeuer verbrennt sie. Sie waren grün, als das Weidevieh über dem Latschenwalde stand. Im Samtgras der Kuhsteige blühte der Goldpippau, und Zwergglocke läuteten, bis der Reif über das Joch ging. Schwer hing er Morgen für Morgen in den Beerensträußen. Da brannte der Berg mit einem Mal. Mit jedem Tag entflammten neue Lichter. Jetzt ist es so weit. Jetzt läuft es über die weiten Beerenrücken wie farbiges Funkengeflatter buntglühender Schmelzen. Es rasen die Farben. Leuchtende Ausklang eines anderen Erdenalters, feuriges Verlodern, brausendes Verrinnen des Lebens vor den Toren einer großen, stummen weißen Zeit und Anfang neuer, unerhörter Dinge. Das sind Farben, wie sie die Berge dachten, als sie höher waren als heute, als das Paradies zu Ende ging, als die Feuerberge stiller wurden und der erste Schnee auf ihre Kronen fiel. Viele von denen, die heute als still wallendes Feuermeer die Felsenschultern übermugeln, blühten und fruchteten hier schon im Urweltstagen. Sie flohen vor dem weißen Tode - sie kamen wieder und brachten andere mit sich: das Rubinglasgeflatter der Heidelbeeren, die Rauschbeeren mit ihrem Regenbogenschimmer, die Krähenbeere und die Besenheide, die überall ihre Herbstlichter entfacht, alle, die heute am Joch Farben versprühten. Das ist Jochherbst.

Es rauscht über dem Latschenhorst. Ein großer, schwarz-weißer Vogel stiebt heran. Flatternd versinkt er im Geloder der Heidelbeeren. Minutenlang macht er seinen Flaschenhals. Er sichert. Dann verschluckt ihn der Bodenwuchs. Still äst der Spielhahn an den bunten Beeren. Da hängen vom Sommer her noch Schwarzbeeren, die dem Riffel entgangen sind, da lockt die blaubereifte Schwindelbeere, von der man irrtümlich sagt, dass sie toll und "tirmlig" macht, Preiselbeeren und Bärentraube und lachen lustig wie kleine Zwiebeläpfel. Der Berg ist reich, er schenkt mit vollen Händen. Die Raufußhühner wissen es. Sie, die scheuen, heimlichen, vergessen den Schatten der Bartwälder, sie verlassen die schützenden Astgitter der Latschenhorste. Da schleicht das Spielwild im Gekräut - bunte Hennen, blaue Althähne, halbverfärbte Junghähne mit kaum gebogenen Sicheln. Einer davon sitzt am Schorfboden vor der Latschenwand. Was fällt ihm nur ein? Ein paar Mal dreht er sich am Fleck, und dann steigt ein weicher, dumpfer, schwebender Ton aus dem bunten Land. Verloren, leise rollt der Balzlaut durch die Stille. Der Hahn singt sein erstes Lied. Er hat vergessen, dass die Farben am Verlodern sind. Zu schön ist es im blau-rot-goldenen Berg. So licht und warm, dass sich sogar das Auerwild im offenen Lande sicher fühlt. Alle liegen sie vor dem Kampfwald. Nur ein alter Grieshahn geistert einschichtig hart an der schwarzen Mauer. Er ist vorsichtiger als die anderen. Immer wieder schnellt sein Stingel sichernd aus dem Gekräut. Aber kein Tritt poltert am Almsteig, kein Laut dringt herüber von der Alm. Stumm hocken die leeren Hütten am Kamm. Die Giebel schneiden dunkel in den gläsernen Himmel.

Die Alm schläft. Die Hagtüren stehen weit offen. Ein einsamer Felsenrötel huschert stumm um die Kaser, und die Herbstsonne sucht verstohlen in den blinden Fensterscheiben. Von der Hüttenbank aus sieht man weit in die Runde. Da sitzt man im milden Licht zerfließender Sommerherrlichkeit, und die Almfliegen summen müde im Gebälk. Im Purpur schlummern die Almrücken, wo in Hunderten verlassener Kasern der Alperer ein Schattenleben führt. Im Hintergrund gleißt der wild zermeißelte Marmor der Kalkwände, und tief unten im Tal badet sich das Tal in Goldrauch. Wunder der Farben, fließende, tönende Stille. Gott öffnet den Vorhang der Zeit - "und nicht mehr sollen vergehen Sommer und Winter, Tag und Nacht...".

Langsam schwebt die Sonne zu Tal. Aus den Beerenleiten hebt sich das Birkwild und Reitet zu Holz sausenden Fluges zu Holz. Die Schatten der Kegelfichten wachsen ins Riesenhafte. Es schummert. Rotes Licht spiegelt aus den Hüttenfenstern, Feuer fließt aus dem Almbrunnen. Über die Böden irrt buntes Geschiller. Es lebt nichts als das Licht. Es zittern die letzten Strahlen über schwarzen Schirmbäumen, es flackert und lodert im Geäst der Wetterlärchen. Da versprüht das rote Licht über einem leeren, verlassenen Land. Ist es das kalte, stumme Nordlicht der eisigen Ödnis? Sind es die Feuerwogen, die über unendlichen Wassern brandeten, lang ehvor die Sonne weiß und die Erde bunt wurde? Die Schrofen ragen in Blut getaucht, die Kämme glühen in erstarrtem Feuer. In stummer Bereitschaft stehen die Höhen, als warteten sie auf neue Schöpfungstage. Wer glaubt noch, dass es hier Leben gegeben hat, wo die Almen entschlafen in endlosem, schweigendem Verglühen?

Dann zerrinnt der Feuersaum der Wolkenbänke. Der Zauber verlischt - der Spuk hebt an. Schatten huschen den Almzaun entlang, angreifbar, wesenlos. Sind es nur die Schneehasen - oder ist es der Wintersenn, der umgeht, wenn die Almen brennen?

 


Der Forst ist kein Wald

Wo die Bäume bemalt sind und die Rehe Marken tragen wie Schafe, da geht der Waidgeist zu Tod. Er stirbt unter der Axt. Wo der sich aufhalten will, muss ein anderer Wind blasen.

Grüne Bäume, braundürre Schäfte, griesgraue Flatterbärte am Ast, vom Regen gestählt, vom Nebel gefeuchtet, zerzauste Mähnen an veralgten Hornzacke, seidenschwerer Behang neben verrotteten Wurfböden. Tolle Grasverhaue auf bleichen Schlafmoospolstern. Blockwerk, das aus Farngeflatter keilt. Tröpfelwasser im mürben Grus, verborgen unter Riesenblättern. Wildwechsel, wo man geht und steht. Heimliches Federwild in den Anflugdickungen und im Geschröf seidenhaariges, schleichendes Raubzeug. Kein Weg, kein Steg, kein Pfad. So will es der grüne Geist. Da lodert die Wildheit, da blüht die Freiheit. Das ist Wald.

Riegel und Reißen, Stein und Stamm. Man sieht nicht ein, man sieht nicht aus. Der Nebel hetzt die Leite herauf und verfängt sich in den Wipfeln. Wie ist er so frei und stolz, der stille, weite Bergwald - unser Wald.

Schön mag die Heide sein und wild das Moor. Es klingen die Namen Rominten und Lüneburg, Bodetal und Spessart. Hellsichtige Leute finden dort, was sie suchen. Wir beneiden sie nicht. Auch unser Land hat grüne Plätze. Es orgelt der Brunfthirsch im Hinterriss. Der Rehbock setzt im Laviernwald ein Gehörn auf, dass er selber staunt. Am Schwarzkopf raufen sich die Urhähne. Der Steinadler horstet am Gleirschturm, der Uhu geistert im Pfonnergraben.

Unser Bergwald ist so still wie der tiefste Heidewald; unser Bergwild ist so heimlich wie das scheueste Heidewild. Was brauchen wir Rominten und Bodetal! Noch sind wir reich!

 


Sie fliegen, fliegen ...

Wieder singt der Wald, wieder jubelt die Heide, die Gärten plaudern wieder, und es ruft das Seegestade in den neuen Stimmen. Sie sind wieder da, die großen Rufer, die kleinen Pfeifer, und täglich treffen neue Scharen ein.

Damals war es, als hier noch die Eiszapfen an den Traufen blinkten, da merkte der Buschmann in der Kalahari, dass die großen, weißen, langbeinigen Vögel von den Salzpfannen verschwanden. Die Schillukneger am oberen Nil gewahrten, dass die Kranichflüge auf den Durrahfeldern spärlicher wurden. Den Fellachen Ägyptens verstummte das Geplapper der vielen fremden Buschsänger, und die Beduinen sahen die Schwalben nicht mehr um die Palmkronen flattern. Eine Welle nach der anderen verschwand. In allem Wandervolk war ein unbändiger, ungestümer Drang nach Norden erwacht. Sie flogen, flogen...

Eine dunkle Vorstellung der Heimat glühte in allen, und ihr Äußeres veränderte sich. Wenn einer eine Reise tut, dann kleidet er sich in unscheinbare, unauffällige Gewänder. Die gefiederten Wanderer aber zogen die Feierkleider an, schmückten sich, wie sonst nie im Jahr. So kamen sie, geziert wie zu einem Fest, in schimmernden Seidenroben, in schillernden Prachtgewändern.

Seit Monaten strömt es herauf aus dem Süden und Südwesten auf breiter Front. Wo schmale Leitlinien, Flussläufe, Küstenstriche, Bergzüge die Wanderfluten einengen, das sind die Tage voller Leben und die Nächte voller Stimmen. Zweimal im Jahre wiederholt sich das Schauspiel der Wanderzüge. Es wandern zwar auch andere Tiere. Es gibt Falterzüge, die aber fallen kaum auf. Es wandern die Rentiere, die Lemminge, manche Antilopen, die aber kleben am Boden. Es ist ein mühseliger Kampf mit der Strecke. Das Federvolk aber geht hemmungslos und kühn auf große Fahrt. Sie allein beherrschen spielend den Luftraum. Man liest von abgestürzten Flugzeugen. Wer hat jemals etwas von abgestürzten Vögeln gehört? Da gibt es kein technisches Versagen. Der Vogelkörper verfügt über Sicherungen aller Art. Fünf mächtige Luftsäcke polstern die Haut, reichen hinein bis in die leichten, holen Langknochen. So sind sie eine großartige Kombination von Flugzeug und Luftballon. Der Schwerpunkt verlagert sich nach Belieben je nach Stellung des Steuers und der Schwingen mit der Verschiebung des Druckmittelpunktes der Flügel, jener Stelle, wo der Luftdruck angreift. Aus der Drehbarkeit des Steuers und der Schwungfedern ergibt sich ein vollendetes Höhen- und Seitenruder. Die Handschwingen vertreten den Propeller und vergrößern zugleich die aus den Armschwingen bestehenden Tragflächen. Für Betriebsstoff, der auf dem Zuge reichlich verbraucht wird, sorgen die Fettpolster der Haut, die vor solchen Kraftleistungen ausgiebiger als sonst angelagert werden. Dazu ist jeder Vogelkörper ein Körper des geringsten Widerstandes, um den beim Fluge wirbelfrei der Luftstrom spült. Dabei diese Abwechslung in Größe und Form, in Flügelschnitt und Steuerumriss!

Wer ein Auge hat für das Schöne, der wird nicht müde, den Vogelflug zu bewundern: den reißenden Gleitflug der Wildenten beim "Wassern", den kraftvollen Ruderflug des Wanderfalken, das Segeln der Bussarde im Aufwind, die Wendigkeit der Schwalben, dass draufgängerische Dahinstürmen der Mauersegler. Vollends aber packt jeden das Staunen, betrachtet man die Flugleistungen mancher Arten während der Wanderung: Starenschwärme fliegen die halbe Nacht im 80-km-Tempo, Knäkente bringen es auf 120 Stundenkilometer. Andere erreichen mit dem Wind über 200 km/h. Die meisten schieben allerdings Rasttage ein und gehen nieder, um zu "tanken". Dem gegenüber stehen die Gewaltleistungen einiger Arten. Sie grenzen an das Unwahrscheinliche. Eine Sumpfschnepfe durchmisst auf der Strecke Japan - Südostaustralien einen Abschnitt von 5000 km im "Ohnhalteflug". Ausruhen auf dem Wasser kommt für sie nicht in Frage, ebenso wenig wie bei einem asiatischen Goldregenpfeifer, der die Strecke Aleuten - Hawaii in einem Zuge durchmisst. Das sind 3300 km. Bei etwa 35-stündigem Dauerfluge erfolgen ca. 252.000 Flügelschläge. Man versuche einmal flügelartige Armbewegungen bis zur Erschlaffung - und zähle! Ein anderer Goldregenpfeifer bewältigt im Gewaltflug von ca. 48 Stunden die Entfernung Labrador - Kleine Antillen. Sogar gewisse Kuckucksarten erlauben sich Distanzflüge bis 1400 km. Das sind nur einige aus vielen, und damit ist noch nichts gesagt über die Länge der Gesamtzugstrecken. Und das leisten der kleine Muskelmotor und das Wunder des Vogelherzens! Und es ist noch nichts gesagt über die Gefahren der Reise: Wetterstürze und Stürme, Greife und Flinten. Aber sie fliegen! Sie fliegen unaufhaltsam, unentwegt! In ihnen brennt die Vorstellung jenes Ortes, wo sie aus dem Ei gekrochen sind, wo sich der wichtigste Teil ihres bewegten Lebens abspielt.

Die Zippen jubeln im Lärchenwald, Waldschnepfen streichen im quelligen Grund, Mönch und Braunelle singen im Busch. Und morgen wird der Kuckuck kommen.

 


Unterwegs

Über den Südhimmel wandern zerkämmte Schleierwolken. Starenschwärme brausen dahin über die in Herbstgold getauchten Fluren, wo das Weidevieh steht zwischen Zeitlosen und blanken Krähen. Der Tag zweifelt zwischen naher Wintergewissheit und ferner Frühlingsahnung.

Am Waldrand, hinter Zaun und Hecke, hat der Regenwind der vergangenen Nacht das Falllaub zusammengekehrt. In den bunten, tropfenbesprengten Laubschütten stöbern ziehende Drosseln.Wanderhäher in losen Gruppen fuchteln vorüber. Was Flügel hat, ist in Bewegung. Sachte fließt der Wanderstrom durch das Land - Tag und Nacht.

Unter einem Fichtenbuschen am Saumschlag schläft der "Vogel mit dem langen Gesicht". In den Stunden nach Mitternacht war er durch Regen und Nebel geflogen, bis ihn der aufhellende Tag zum Einfall zwang. Eine Meile von hier, weit hinter dem Buschgraben, hatte er unter einem Schlehenstrauch ein Lager gefunden, das ihm behagte. Da wollte er den Tag verbringen. Aber nach dem Morgenläuten war es los gegangen mit jiff und jaff und ping und peng. Das Waldtal widerhallte vom Lärm der Stöberjagd. Wohl vernahm ihn die verborgene Waldschnepfe, weil es aber ihre Art war, sich tagsüber zu drücken, hielt sie aus. Und sie blieb so lange, bis es hinter ihr rauschte und ein hechelnder Hundefang fast über ihr war. Im letzten Augenblick fuhr sie prasselnd aus dem Lager, zickzackte um Büsche und Stämme, fuhr hoch wie eine Rakete, querte eilig den Graben und verschwand hinter den Wipfeln. Fernab in einem verwachsenen Saumschlag ging sie zu Boden. Da lief sie noch eine halbe Baumlänge durch Dost und Disteln und verkroch sich dann unter einem Anflugschopf mitten in der Schneise.

Jetzt am Nachmittag herrscht Ruhe im Wald. Die Sonne legt milde Goldstreifen zwischen die Schatten, Herbstfliegen umsummen die Strünke, in den späten Schwungkrautblüten sucht ein einsamer Admiral. Der Duft von grüntrockenem Erlenlaub mischt sich mit feuchtem Holzgeruch. Kein Tritt unterbricht die Stille, kein grober Lärm stört die Ruhe. Stunden verrinnen. Birkenlaub rieselt in den dürren Farn, Altweibersommer flirrt von den Zweigen. Vertraut stehen die Rehe am Schlag. Wie vom Westen her, wo das Dorf liegt, eine Welle verschwommener, schwebender Töne heranrollt, werfen sie auf (= aufwerfen) und äsen dann ruhig weiter. Nicht selten haben sie diese metallischen Klänge vernommen. Sie bedeuten keine Gefahr.

Nachdenklich wandert der Oktobertag durch den Wald. Blätter rascheln zu Boden. Sie haben ihre Arbeit getan. Die Früchte sind gereift und warten geduldig auf ihre Zukunft. Winterknospen jeder Form werden durch den Laubriss offenbar. Es ist, als stünden große Dinge bevor. Dann werden die Schatten länger. Die frühe Sonnenrüste taucht das Waldtal in blaues Halblicht. Die lange Dämmerung setzt ein. Drunten leeren sich die Felder. In langen Zeilen bimmelt das Weidevieh dem Dorfe zu. Ein kalter Hauch lockt die Nebelhexen aus dem Waldgraben.

Da ermuntert sich der Vogel mit dem langen Gesicht. Er erhebt sich auf die derben Ständer, schüttelt das Gefieder. Eine Weile steht er da, schlank und hochgereckt, und lauscht hinein in die aufziehende Nacht, unsicher vor dem großen Entschluss. Und dann - plötzlich ein lauter Schwingenschlag, steiler Anstieg über die schwarzen Wipfel und - fort geht es hoch über den schlafenden Wald, über dämmerige Fluren, über Lichter tief unten - dahin - dahin in sausendem Flug nach Süden.

 


Wenn die Almen brennen

Ein paar Mal schon hat es über die Hochweiden her gereift. Jetzt ist Zeit für die Abfahrt. Das Futter ist rar geworden, und es kann Tage geben, wo das Vieh aufbegehrend im Schnee um die Häge steht. So bimmelt und trappelt das ganze Vieh eines Morgens auf dem Hofplatz vor dem Gatter und nach viel Geschrei und Gelauf wird es still auf der Alm. Nur der Aufräumer bleibt zurück. Weil es mit dem Aufräumen auf der Alm aber "... nit gar aso hoakl isch...", wie er sagt, so folgt er bald nach. Still geistert der Hausrotschwanz um die leere Hütte.

Wer um diese Zeit über die verlassenen Almböden wandert, der begreift, dass sie die Ruhe nötig haben. Trotz des nassen Sommers ist das Gras zehnmal kurz geschoren. Der Boden ist übersät mit ausgerupften Borstgrasbüscheln, die die Kühe verschmähten, um sich nicht am kieselharten Gehälm die Zähne zu Schanden zu schleifen. Fahl, zerschunden und von hundert "Kuhgangln" zerfurcht liegt die Alm da. Nur die Brennnesselwälder um die Hütten und die Ampferdschungeln unter der Dungstatt, diese Stickstoffschlemmer, haben noch etwas von sommerlichen Grün bewahrt. Es wird gut sein, wenn nach Nebelwochen der Schnee die verarmten Almen heilt und des Schmelzwasser sie verjüngt. Das aber hat noch lange Frist.

Noch steht ein anderer Akt bevor, der Akt der blauen Tage und der Farben. Schon hält die Buche ihr goldenes Laub vor den Himmel, und die Lärche gilbt. Auf den Lehnen und in den Mulden über dem Walde aber rinnen die Farben ineinander wie feurige Schmelzen. Die Besenheide ist aufgewacht zu später Blüte. Ein Rosenschimmer, matt und gedämpft, verschleiert die verarmten, verschorften Hochböden, da und dort züngelt daraus brandrot ein Seggenbusch. Ziehende Bergpieper locken darüber in kläglichem Ton, und vor den Kampfbäumen stehende Rehe lassen merken, dass sie bereits am Umkleiden sind. Die Halden und Zwergstrauchheiden noch höher aber dumpfen noch dahin in verbrauchtem Braungrün. Ein paar sternklare Nächte bringen den Umschlag. Mit einem Male brennt der Berg. Um alle Mugel brandet das Glasrot der Heidelbeersträucher. Die Rauschbeeren spielen in allen Farben vom dunklen Blaugrün über Weinrot bis zu kräftigem Orange. Nur wer über ledriges, hartes Laub verfügt, wie die Alpenrosen, die Preiselbeeren oder die Gamsheide, die alle Blöcke und Grusstellen überzieht, sehen sich dem Frost gewachsen und behalten ihr blinkendes Grün. Die anderen Beerensträucher schmücken sich zu Ende ihres Jahreslaufes mit leuchtenden Tönen. Die vielen frostzermürbten Beeren zeugen von ihrer Sommerarbeit. Und diese Beeren ziehen Geflügel herauf in die stillen Bergheiden. Große, blanke Vögel mit weißen Flügelzeichen fallen polternd ein. "Flaschenhälse" ragen aus dem Gekräutt. Dann zeigt das Glas, wie die Birkhühner die Früchte aus den Zweigen zupfen, dazwischen ab und zu sichernd. Rundum ist es still, und die Herbstsonne wärmt. Da springt ein Hahn auf den Schieferblock, duckt sich, und dann murmelt über die herbstliche Alm ein sonderbares dunkles Lied und bricht plötzlich ab, als wäre dem Sänger eingefallen, dass es eigentlich in eine andere Zeit gehört.

An jenen Stellen, wo die Alpenbärentraube den Boden deckt, erfährt das Herbstfeuer seine höchste Steigerung. Das sind nicht mehr Farben der Berge, das ist tropische Glut. Da tobt sich noch einmal die Leuchtkraft des Höhenlichtes aus, zurückgeworfen vom Blutsaft anthozyangefüllter Blätter. Hier aber erfüllt diese Farbe nicht den Sinn bunter Blüten, da dient sie nicht als Locksignal, wir in bemalten Früchten. Sie verlodert nur als prachtvolle Verbrämung der Höhen, und hernach zu gilben und zu fallen. Wenn keine Bergblumen mehr blühen, außer ein paar schüchterner Habichtskräuter und frostverbrannter Gamswurzen, dann beginnt der Farbentanz der Blätter. Es ist ein stiller, verwegener Schautanz. Es ist wie eine Erntefeier. Was den Sommer hindurch gebaut wurde, das steckt jetzt wohlverpackt in Winterknospen aller Art oder es ruht als Same, als Schrumpelbeere, als Fallschirmfrucht auf dem, verfilzten Grund. Um das zu sehen, mag man sich auf den Boden strecken und eine Quadratspanne nach ihnen abzählen. Hier liegen sie und warten. Kein Schnee schadet ihnen und kein Frost. Ja, vielen von diesen Bergwesen ist der Frost sogar Freund und Wecker. Sie keimen nur, wenn sie ein paar Mal tüchtig durchgefroren wurden. Kraut und Strauch aber und das wirre Wurzelwerk der Heideböden haben ihre Tätigkeit eingestellt bis zum nächsten Frühlingsanruf. Es ist still geworden auf den verlassenen Höhen. Wenn der Abend in Feuerbränden über den bunten Almen verlodert, dann scheint es Weltuntergang - oder Weltschöpfung? Dann zieht es kahl von den Gipfeln. Aus tiefem Schatten rauscht der Grabenbach. Und da wird man plötzlich erinnert, dass in dieser Welt des Schweigens und der Kälte das Leben weiterflackert. Aus dem schwarzen Grabenwald meldet ein rauer Bass. Seine Stimme, dass es dir kalt über den Rücken läuft! Das ist der Hirsch! Der erste in diesem Jahr!

 


Im Verdämmern

Unter diesigem Himmel rudern die Krähenrotte zu Holz. Die Ferne verschwimmt im Novembernebel. Langsam neigt sich der Herbstnachmittag dem Abend zu.

Auf der Lichtwurzel der großen Randbuche, die mit leeren Ästen in den Himmel langt, sitzt der Heger. Es war ihm für den Abstieg noch zu früh, und so rastet er eine Pfeife lang unter dem Wahrbaum, wie so oft. Und von da schaut er in das graue Land. Den Tag hatte er damit verbracht, die Wildfütterungen in Stand zu setzen und sie mit Raufutter und Rosskastanien zu beschicken. Nur so viel durfte es sein, um allmählich das Wild an die Plätze zu gewöhnen, es heranzuziehen an nahgelegene Einstände, denn, wenn erst der Schnee klaftertief auf den Schlag liegt, könnte es zu spät sein.

Bequem an den Stamm gelehnt, in den Lodenmantel gehüllt, sinnt der Mann vor sich hin. Noch herrscht keine Not in der Wildbahn. Es war ein gutes Jahr. Alle Beerensträucher bogen sich unter der bunten Last; in Mengen liegen die Bucheckern im roten Laub, alle Fichten sind behangen wie Christbäume. Allee, was Haare und Federn hat, kann kräftig und wohlgenährt in den Winter treten. Was für ein Gesicht aber wird der Winter machen? Wer weiß! Schon schwärmen die nordischen Bergfinken durch die Buchenwälder, und das Hermelin geht schon im Winterbalg. Wem sein Wild am Herzen liegt, der sorgt vor. Besser ist besser. Das ist Hegerpflicht. Zuviel Laubholz und Strauchwerk, die beste Winteräsung, hat die Nadelholzwirtschaft dem Wald genommen, da heißt es nachhelfen zur rechten Zeit. Sonst geht es wie im Nachbarrevier, wo es im letzten Winter eine Menge Fallwild gab, den Füchsen zur Freude, dem Pächter zum Verdruss.

Sachte tropft der Nebel vom Gezweig, sachte tanzen die letzten Buchenblätter zu Boden, legen sich zu den hunderttausend anderen. Nachdenklich schaut der Heger dem stillen Vergehen zu. Das Laub wird verrotten, Was da blühte and wuchs, wird vermodern. Aus der Erde, die daraus entsteht, werden aber übers Jahr die zahllosen Samen neue Sprosse treiben, die im Boden schlafenden Wurzeln werden aufs neue grüne Schäfte bauen, und neue Insektengeschlechter werden die Blüten umschwärmen. Das Wild und alle die anderen Bewohner des Waldes werden einen gedeckten Tisch vorfinden, weil zahllose Wesen gestorben sind und neuen Platz gemacht haben. Wieder wird der Rehbock eine Krone aufsetzen und der Hirsch sein stolzes Geweih, wieder werden die Vogelbruten in den Nestern schreien und die Welpen vor dem Fuchsbau spielen. So ist die Ordnung im Wald, so muss es sein. Und es muss auch sein, dass der eine und andere von ihnen zur Strecke kommt, denn ohne die Hege mit der Büchse entartet der Wildstand, weil längst alles Großraubwild zur Seltenheit geworden ist, Bär und Wolf und Luchs, die von Natur aus eingesetzt waren, das Gleichgewicht in der Wildnis aufrecht zu erhalten. Ja, so wird, es sein. Jetzt aber dreht sich das Jahresrad dem Ende zu.

In tiefer Stille verdämmert der Novembertag. Fahl schimmert noch das Flachsgras herüber von der Blöße; wie Schatten ziehen die Rehe zu Feld. Da erhebt sich der Heger und wandert langsam den Dorfe zu. Finster wird es im Holz, und weit drüben im Westen leuchtet ein goldenes Band zwischen bleiernen Schneewolken.

 


Es war einst ...

Baugründe, Mauern, Schotter, aufgerissene Wege und Goldrutenhorste auf Bergen von Aushub, fremdes Unkraut, alles überwuchernd, alles unterdrückend, fremde Rufe aus fremden Gesichtern und Lärm.

Da war einmal Wiese, da raschelten einmal Türkenfelder, und der Herbstrauch schlich über den Brachen. Es ist kein Traum, es war Wirklichkeit, dort in der blauen Ferne gegen Morgen war einmal Wald, vom Hügelhang bis zum Fluss, zu diesem Fluss, der wie ein geduldeter Fremdling und wie ein Lasttier misshandelt nicht mehr seine Wege gehen darf. Aber er hat eine Ahnung bewahrt von seinem herbstlichen Glasblau, und noch ziehen im Oktoberlicht Köcherfliegen über den Wellen, ein spärlicher Tanz goldener Punkte. Und sie erfüllen das Gesetz ihrer Zeit.

Über die Brücke donnert der Verkehr. Menschen gehen heim von der Arbeit. Mich fesselt das blaue Band, das sich gegen Morgen weit in Dunst verliert. Eine Schotterbank ist geblieben, mitten im Wasser. Stelzen flattern nach Herbstfliegen. Und dort weit unten, da lag das verschwundene gelobte Land der tausend Streifen. Dürrlaub raschelt unter den Schritten. Vom Altwasser fliegt der Eisvogel ab mit scharfem Ruf, und die Krähen rudern den Schlafplätzen zu - Herbstdämmerung. Lohen im Westen zwischen schwarzem Erlengestämm, Symphonie des erlöschenden Jahres, aus der Stille glimmende Zukunft, in ungeheurer Komposition durcheinanderschillernde Lebensfugen. Im Gießenwinkel geistert die Ohreule, Stimmen der Zugvögel unter dem Mond, damals, heute - unsere Augen sahen, unsere Ohren hörten, es suchte der Geist nach dem Bleibenden. Unter der Brücke gleiten die Wellen. Was ist Vergangenheit, was Gegenwart? Er war dabei, der Unveränderliche - damals, so wie er heute ist. Kein Schritt, kein Blick, kein Vogelruf, kein Laubgeraschel ist verloren. Zeit wird zum Akt, Vergangenheit und Zukunft werden Gegenwart, von Traurigkeit und Furcht befreit. Und Hände füllen sich mit ewigen Geschenken. Es war? Es ist - und es wird immer sein.

 


Der Herbst

Der letzte Korb ist geleert. Auf den Horden liegen die Äpfel. Das ist ein Segen! Goldreinetten in gestreiftem Kleid, blonde Gravensteiner, schwere Boskoop, mächtige Alexander. Wie das duftet! Da bleibt ihr jetzt in beschaulichem Halbdunkel viele Monate lang. Draußen aber fließt das Licht - Herbstgold! Von der Hauswand rieselt das Blut der Jungfernrebe auf den Vorplatz. Dort steht eine Bank in der Sonne. Die ladet ein. Feldfeuer rauchen im Tal. Dahinter winkt der gläserne Wald. Eigentlich sollte man dort draußen sein am Waldbach, wo der Königsfischer herabschaut auf das vorübertreibende bunte Laub. Oder oben im Kampfwald, wo der Platzhirsch auf den Gegner wartet. Aber auch da ist es schön auf der Bank im milden, zerfließenden Licht. Der blaue Tag neigt dem Abend zu. Er verheißt eine Reifnacht. Schon kriecht der Nebel aus der Au. Stare brausen vorüber. Wo werdet ihr morgen sein? Im Eisacktal - im Etschland? Wer weiß? Kühl zieht es aus dem Tal. Bald wird, es dämmern, in den dunklen Gärten wird das dürre Laub zu Boden rascheln, und in der Mondbahn wird es rauschen von eiligen Schwingen. Und morgen wird das Land noch bunter sein als heute.

 


Föhnabend

Wie der Wind die Abendfeier hält, schwimmen ein paar Tintenbänder im Föhnschleier der Westgrate. Die Sinkesonne macht sich an's Umfärben. Fahles Licht erfüllt den Westraum und glost durch die Wolkenfenster. Eine stille Zeit vergeht. Tiefer färbt sich der Schein, heller tönt sich der Schimmer. Die Fensterrahmen fangen Feuer. Sie funkeln in fahlgelbem Licht. Das erhellt sich zur grellgelben Leuchte. Die Säume wachsen. Lichtwellen branden heran und lockern die dunklen Ballen. Die Bänke saugen sich voll mit gelber Flut. Wattewolken flammen auf. Grellgoldene Bänder glühen aus dem Abendblau der Massenwolken. Und dann brennt der Himmel in blendendem Strahlengefunkel. Endlos lange dauert der stille Brand. Langsam verblasst das Goldgefunkel zum Messingschein. Es beginnt das Erlöschen. Die Hangwolken erstarren in tintenblauen Bänken; aus den Gipfelwolken sickert die Glut. Noch halten ein paar handgroße Höhenwolken eine goldene Erinnerung - dann zerfließen sie. Kaltes Schattenblau überflutet den Himmel. Es braust in der Ferne. Das ist der Nachtföhn, der von den Bergen kommt.

 


Frostabend

Zwischen Tag und Nacht. Grünlich blassen die Sonnenfarben hinter den blauen Bergen. Ferne Lampen glühen auf und verschwimmen im eisigen Frostnebel. Es wird kalt. Die ersten Treibeisschollen nisten sich am Ufer. Schrrt, schrrt, knirschen sie am Randeis. Stiller und hoher Himmel. Blau funkelt der Abendstern. Der Orion entzündet sein Gestirn. Hoch oben hebt es an: "Watt, watt, watt, watt" Da sind vier streichende Enten. Sie werden unsichtbar.

Der Mond rollt über die Schwarz-Pappeln. Tintendunkle Schatten im Holz. Grüne, rote, gelbe Blitze auf Silbergrund. Die Landschaft in kühles Halblicht getaucht. Dann ein dunkler Streifen zwischen Stamm und Stock. War es der Ilk oder der rote Schleicher? Es gibt Leben im Gespensterwald bei hoher Nacht, trotz Frostschneien und Eisprickeln, trotz bissigem Ost und lebensfeindlicher Stille, wie's so sein muss, wenn die Nacht sich dehnt und der Tag kurze Bogen spannt - in der Zeit der Raunächte, dem Kehrpunkt des müden Jahres.

 


Tierrufe

In grauer Urzeit war die Erde stumm. Nur die Brandung dröhnte am Kliff, und im Farnwald raschelte der Wind. Das dauerte wer weiß wie lang. Und einmal geschah das Sonderbare. Aus der Wildnis umgestürzter Schuppenbäume stieg ein Ruf. War es Freude, war es Klage? Kein Mensch hat ihn gehört. Aber der Bann war gebrochen. Die Erde hatte eine Stimme. Bald war das Getön der Panzerechsen untermalt vom Geschrill der Kerfe. Und die Stimmen mehrten sich. Jedes Stück Land erfand eine eigene Sprache. Das Leben wurde in Töne gefasst: Lust und Schmerz, Zorn und Wut. Der Löwe donnert in die Tropennacht. Im bunten Herbstwald röhrt der Hirsch. Der Fuchs bellt im weißen Holz. Im Kar vergellt der Pfiff der Murmeltiere und die Vögel singen. Ein jeder sagt, was ihn bewegt und was ihn treibt, so gut er kann. Seine Freunde hören und verstehen ihn. Die Erde hat vielhundert Stimmen. Vorüber ist die stumme Zeit.

 


Das Gewitter

Die diesige Wand vor der Stadt saugt alles Grau an sich. Lose quillt sie über die Waldköpfe, lässt sie in Rauch zerfließen. Die Bergseiten zerrinnen in bleierner Schattenhaftigkeit. Noch atmet ein trockener Hauch vom Osten. Er macht die Pappeln neben dem Wehrturm erschauern. Er schleicht über die fahlen Wiesen und raubt ihnen alle Lebensfarbe. Droben aber wächst es düster heran. Ein dunkles Untier legt sich über das Tal. Sein rauchdüsterer Leib bläht sich, streckt sich von einem Talhang zum andern. Eine Höhlendecke droht über der Flur. Da wird es finster. An den Flanken des Ungeheuers entlang huscht fahles Feuer. Da geht Bewegung durch das Wolkentier. Ein zweites löst sich aus seiner Seite. Es schwimmt als tintenschwarzer Gespensterwal vor ihm her. Es leuchtet, murrt und faucht. Der Wind schlägt um. Ein erschrecktes Rauschen. Aufsilbernd ducken sich die Pappeln. Eine Saat schwerer Tropfen schlägt und fegt die Straßen leer. Düsternis hat die Stadt verschlungen, die Wiesenbreiten und die Au. Dort stirbt das Untier. Eine Wasserwand gleitet den Taltrog herab. Das Untier verblutet. Eine Flut bricht los wie zu Noahs Zeiten. Der West haut mit der Peitsche drein. Er wälzt das verendende Tier vor sich her. Er reißt dem jungen Riesenwal schwarze Fetzen aus dem quellenden Leib. Mit feuchtem Atem hetzt das Unzeug vor ihm her, hart über den Türmen. Es weicht ihm aus, wechselt die Gestalt, zerfließt unter seinen Hieben. Dunkler werden die Straßen. Entsetzt stieben die Tauben einem Einstand zu. Ein Irrlichtern aus der Wolkennacht. Dann ein jähes Aufprasseln. Es rauscht und rasselt, es knattert und klappert. Es übermannt alle Geräusche und verschlingt alle Laute. Schwer beugen sich die Pappeln. Der Wetterwind haut die Wolkengarben in den Grund, dass die weißen Körner springen. Es seufzt alles Grün. Bewahre uns vor dieser Saat! Entsetzen lähmt das Land. Gelb steigt der Fluss. Das Tier aber ist verendet. Es rauscht der Regen in die Nacht hinein sanft und versöhnlich.

 


Eintagsfliegen

Blauer werden im Waldtal die Schatten und goldener die Lichter. In leuchtenden Fächern zerstäubt die späte Stunde über den rinnenden Weg.

Wer sind die traumhaft zarten Filigrangestalten, die aus dem Schatten in die Lichtbahn schwirren? Die steigen, wirbeln, sinken, fallen, im blauen Gegenlicht der Fichtenmauern jäh verlöschen, verschwinden hinter Wipfelschattenrissen. Perlmutterfarbige Flügel schillern auf im Kreiseltanz von langen Fadenschleppen am nassen Weg vor schwarzen Bäumen, im Samenstrauch entlegener Gipfelkämme?

Sommergedanken geistern in verschwiegener Bachtalheimlichkeit. Bergsommerfreude tanzt sich aus. Im Bachgump spiegeln sich brandrote Beerensträuße.

 


Gedanken zum Mannigfaltigkeits- und Harmonieprinzip

Die Zeit der rein kausalmechanistischen Erklärungsversuche für alle Naturerscheinungen und Vorgänge ist längst vorbei. Das Kausalprinzip ließ die wichtigsten Fragen offen. Für sich allein, ohne Annahme einer Finalität stellt es eine Unmöglichkeit dar. Wenn es auch als Arbeitsinstrument, besonders in der angewandten Forschung, seine Berechtigung hat, so muss man sich doch im Klaren sein, dass grundsätzlich Richtunggebendes dadurch nicht gefördert werden kann. Man kam zur Anerkennung übergeordneter, primärer Gesetzmäßigkeiten. Diese wurzeln nicht im Materiellen selbst. Die Formgebung nach bestimmten Plänen, die Abstimmung der Einzelpläne aufeinander fordert die Annahme eines Harmonieprinzips, dem offenbar ein Mannigfaltigkeitsprinzip zugeordnet ist. Es kann nicht mehr angezweifelt werden, dass diese Grundgedanken in der Gestaltung der Natur Richtlinien darstellen. Neue Forschungsmöglichkeiten haben sich dadurch aufgetan, abseits von den kausalmechanistischen Bahnen. Eine Reihe von Naturwissenschaftlern hat diesen neuen Weg beschritten.

In der Schöpfung die Wirksamkeit eines Mannigfaltigkeitsprinzips anzunehmen, liegt eigentlich nahe. Wohin man schaut, steht man vor einer verwirrenden Fülle von Vorgängen, Formen, Farben, Mustern - einer anscheinend unnötigen Buntheit, die der kausalen Rechtfertigung spottet. Manches erweckt sogar den Eindruck des Unsinnigen, Unzweckmäßigen. Die vielfach erzwungenen Erklärungsversuche überzeugen nicht. Die Vielfalt der in manchen Fällen geradezu phantastisch anmutenden Vermehrungsvorgänge, besonders im Pflanzenreich, luxurierende Bildungen wie Riesengeweihe, Schmuckhörner, Hautwucherungen usw., die weit über den Grundsatz der Auslese hinausreichen, leuchtende Schillerfarben, geometrische Ornamentik und vieles andere bieten Beispiele dafür.

Das Mannigfaltigkeitsprinzip steht zunächst selbstständig für sich da, ohne aus sich heraus irgendwelche Erklärungen zu erlauben. Die Bestrebungen gehen dahin, in diesem Prinzip innere Gesetzmäßigkeiten nachzuweisen und es durch das andere, wahrscheinlich allgemein wirksame Gesetz zu fundieren - nämlich das Harmonieprinzip.

In der nicht vom Menschen beeinflussten Schöpfung entdeckt man nirgends Geschmacklosigkeiten. Jedes Ding ist in seiner Art vollkommen. Vorgänge und Formgebung sprechen aus irgendeinem Grunde an. Der Grund ist verborgen. Aber es liegt von vorne herein der Verdacht nahe, dass alles nach einheitlichen Plänen gestaltet sein muss. Es handelt sich nur darum, die Pläne aufzudecken. Nicht alle Bereiche lassen sich ohne weiteres klarstellen. Das Gebiet der Organismenfärbung ist vielleicht diesen Bestrebungen am leichtesten zugänglich. So hat Dr. H. Frieling unter Verwendung der Dreifarbenlehre von Fr. v. Trützschler versucht, die Farbmuster verschiedener Tiere, besonders Vögel, gesetzmäßig abzuleiten. Jede Gruppe besitzt ein für sie bezeichnendes Grundmuster. Diese Muster, die zunächst nichts über die Färbung, sondern nur über die Farbverteilung etwas aussagen können, bilden gewissermaßen die Hohlform, in die nun alle nach Farbenlehre und Substrat möglichen Kombinationen gefüllt werden können. Dabei kann es in den Grenzfällen einerseits zur "Entleerung" in neutrale Töne, anderseits zur Steigerung in Extreme kommen. Frieling entwickelt diesen Gedankengang unter anderem am Beispiel der Bienenfresser, einer kleinen, lebhaft gefärbten Vogelgruppe. Hier bildet ein Schwarz-Weiß-Muster bestimmter Linienführung den Ausgang. Es findet sich - harmonisch abgewandelt - immer wieder. Andere Beispiele nimmt Frieling aus den Gruppen der Finken, der Spechte u.a.m.. Aus Grundmuster und Farbenlehre lassen sich also theoretisch alle den physikalisch-biologischen Voraussetzungen entsprechenden Zusammenstellungen ableiten. Sind diese realisiert, so kann das als Beweis für eine in diesem Gebiet waltende Gesetzmäßigkeit gelten. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Bestätigungen für die Richtigkeit dieser Spekulation. Es ergibt sich aus diesen Überlegungen nicht nur die innerhalb einer Mustergruppe auftretende Abwandlungsmöglichkeit, sondern auch deren Grenze. Grenzen sind jedenfalls vorhanden, ähnlich etwa im Mineralreich, wo sich die Formbildung streng im Rahmen der Raumgitter und der Symmetrieklassen hält, also ebenfalls mathematisch "vorgedachter" Formen.

Das Mannigfaltigkeitsprinzip fordert möglichst große Abwandlung innerhalb der gegebenen Grenzen. Diese Tendenz kann man überall beobachten. Sie wirkt innerhalb der Typen wie innerhalb der kleinen systematischen Einheiten, der Arten. Sehr einleuchtend zeigt sich das in der Rassenbildung der Haustiere. Was alles kann sich z.B. aus der Art Haushund herausschälen! Selbstverständlich herrscht das Gesetz auch im Pflanzenreich. Die Variabilität mancher Blattformen enthüllt verborgene Entfaltungsmöglichkeiten. Wie veränderlich sind beispielsweise die Blattumrisse der Maulbeere oder der Weinrebe! Legt man einem Laien eine Anzahl von Platanenblättern vor, selbst vom selben Sammelorte, so wird er glauben, verschiedene Baumtypen vor sich zu haben. Die Formen weisen in alle möglichen Richtungen. So sehr sie aber auch von einander abweichen, so werden sie doch zusammengehalten durch gewisse Grundelemente, einen gemeinsamen Baustil. Es drängt eich die Frage auf, ob die einzelnen, anscheinend abnormalen Formen nicht irgendwo und irgendwann als Normalformen innerhalb eines Kreises von Formverwandtschaft auftreten, früher einmal aufgetreten sind oder bestimmt sind, einmal später aufzutreten und in dieser Art das Mannigfaltigkeitsprinzip im Weiteren erfüllen.

Sehr klare Belege für die beiden Gesetze bieten die Einzeller. Ihre Gestalten sind am leichtesten mathematisch fassbar. Zur Darstellung ästhetisch befriedigender "Kunstformen der Natur" und als Beispiel erstaunlicher Mannigfaltigkeit wählt man in der Regel die eleganten Figuren der Zieralgen, der Kieselalgen, der Foraminiferen und der Radiolarien. Nicht dass in anderen Gruppen geringere Gesetzmäßigkeit und Vielfalt herrschen würde, aber an diesen einfachen Gestalten wird sie am sinnfälligsten. Sie ist nicht so komplex wie anderswo. So haben die Einzeller seit langem dazu verlockt, durch ihre Erforschung den Grundgesetzen der Schöpfung nachzuspüren, im Einfachsten die höchste naturwissenschaftliche Erkenntnis zu suchen. Dr. E. Barthels hat sich in verschiedenen Studien erfolgreich bemüht, ihre Formen aus mathematischen Ideen herzuleiten. Er fasst die Gestalten auf als Ergebnis der Polarverkoppelung von Kreisrotationen. Dabei ergibt sich eine ungeheure, aber immerhin besonders durch biologische Grenzen eingedämmte Formenmöglichkeit. Es lassen sich theoretisch harmonische Formenreihen aufstellen. Auch hier kann eine große Zahl der theoretisch geforderten Gebilde als tatsächlich existierend und bis ins Einzelne den geometrischen Annahmen entsprechend nachgewiesen werden.

Bei all diesen Überlegungen ist nur der gesetzmäßig begründeten Harmonie und der tatsächlichen Mannigfaltigkeit gedacht, einer potenziellen Energie, die im Sinne einer Idee vorausgedacht sein muss und sich nach "vernünftigen" Grundplänen in zielstrebiger Weise am Stofflichen äußern kann. Über die "kausalmechanistischen" Ursachen für die Realisierung der möglichen Formen und Erscheinungen ist dabei nichts Näheres ausgesagt. In diesem durch sinnvolle Steuerung überhöhten Bereich mag das Kausalprinzip in "dienender Rolle" Geltung haben. Als Auslöser können jedenfalls verschiedene Kräfte tätig sein, z. B. Auslese, Einflüsse der Umwelt, Vermischung, andere unbekannte Faktoren. Jedem Organismentyp ist sein Grundplan zugewiesen. Seine Grenzen lassen sich nicht überschreiten. Aber innerhalb dieser Grenzen sucht jeder Organismus sämtliche Formtendenzen zu verwirklichen, alle Variationsmöglichkeiten zu erschöpfen, mit seinem Talent zu wuchern. Einmal stößt jeder Typus auf ideell und physisch bedingte Schranken. Vielleicht kann das Aussterben verschiedener Tier- und Pflanzengruppen damit in Zusammenhang gebracht werden. Alle möglichen Formen sind realisiert, die äußersten Grenzen sind erreicht. Fast alle diese Gruppen klingen aus in extremen, übersteigerten Formen. Das bestätigen die Phantasiegestalten der Kreidesaurier, die krankhaft abnormal anmutenden letzten Vertreter der Ammonshörner, die ins Fabelhafte verzerrten Dickhäuterfaunen des Obertertiär und viele andere. Es mutet an wie ein gewagter Versuch, die Typengrenzen zu überschreiten, das Mannigfaltigkeitsprinzip auf Kosten des Harmonieprinzips auf die Spitze zu treiben. Die Durchbrechung des Harmonieprinzips aber scheint den Untergang zu bedeuten.

Zwei Pole beherrschen die Schöpfung: Causa und Telos. Mannigfaltigkeits- und Harmonieprinzip regeln teleologisch den Ablauf der Kausalprozesse. Man mag das Schöpfungsbuch auf jeder beliebigen Seite aufschlagen, überall wird Harmonie und Vielfalt in Erstaunen versetzen, den Kenner begeistern, den Anfänger verwirren. Im überquellenden Reichtum webt geheime Ordnung. Es wird immer klarer, dass es eine Ordnung der Ideen sein muss, die sich im Stofflichen symbolisch verwirklicht. Das Suchen danach ist ein Suchen nach Wesentlichem. So konnte Linné mit Recht sagen, dass die Beschäftigung mit der Natur ein Vorgeschmack der Seligkeit sein kann.

 


Schwalbenappell

Warum kreisen und flattern und schweben und schwimmen die Schwalben so ruhelos um die Pyramidenpappel? Sie wissen wohl warum. Weil ein kalter Schauer die Äste schüttelt, weil zwanzig Blätter braune Spitzen haben und zehn andere goldgelb flammen, weil aus dem Sommerbett des Bergbaches blendendweiß das Gries herüberblinkt, weil eine lila Blume zwischen den Grummethocker steht. Und nicht darum allein. So eigen rief die Kohlmeise, die sich an der Sonnenrose hinterm Zaun zu schaffen macht, so fremd ist das dunkle Regengewölk, das um die Bergnase fuhrwerkt. Es sieht aus nach stillen, trüben Tagen. Darum fliegen und kreisen und kreisen und fliegen sie, damit Schwung in die Fittiche und Wendigkeit ins Steuer kommt für später, für eine hohe, klare Nacht, die einmal kommen wird.

 


Köcherfliegen

Ein bunter Vogel saß am Beugeast der Erle. Ein buntes Blatt schwamm auf dem schwarzen Wasser. Im Feld erblühten Blumen fremd und spät. Da kam der Herbst.

Der Tag will auf die Neige gehen. Feldfeuer rauchen überall im offnen Land. Waldeinwärts zieht ein hoher Krähenflug. Laut lacht der Grünspecht irgendwo im Holz. Verstäubte Sonnengarben tropfen in den Fluss. Weiß rieselt es durch schlanke Erlenschattenrisse.

Was regt sich überm dunklen Uferdamm? Was flirrt unhörbar lautlos überm Murmelwasser? Auf weichen Flügeln weht es in den dunklen Abend, schwankt auf und ab und auf und ab. Ein Schweben, Gleiten, Kreisen, Wirbeln. Ein sinnverwirrend stummes Durcheinanderhuschen, ein wildes Spiel von hunderttausend grauen Flügelwesen, durchleuchtet und versilbert von den letzten Strahlen. Sie kreisen ruhelos überm weißem Wasser, sie flimmern unstet vor den schwarzen Bäumen, jedes für sich allein und doch mit allen. Und weiter geht das rätselhafte Treiben der vielen Späten, halbbewusst und stumm. Herbstgeister tanzen, tanzen. Der Tag versickert feuergolden hinterm Wald.

 


Frühjahr

Ein halbes Jahr lang fehlen sie dem Himmel, die runden, klobigen Haufenwolken. Sie quellen schwer hinter den Graten auf. Sie gehen auf wie der Teig am Herd. Sie sind Wolkengebilde von praller, fester Form und von sicheren Umrissen.

Zur Zeit der Apfelblüte sind sie da: Ein blendendweißer Kopf schiebt sich über die blauen Berge. Er wächst. Eine Silberkugel quillt empor, vom schmalen Lichtrand umzogen. Sie zieht schwere, lichte Ballen herauf. Dunkle, runde Schatten bezeichnen die Wölbung. Die Haufenwolken segeln nicht, sie wachsen nur. Wuchtig und schwer greifen sie in den Blauhimmel. Eben war das Land hell und alle Blumen standen offen. Ein dicker Wolkenkopf greift nach der Sonne. Düstere Schatten huschen über die Felder, die Blumen verlöschen, alle Grillen verstummen.

Die Sonne rollt aus dem weißen Gemäuer. Plötzlich steht das Land in neuem Licht. Die Bauschenränder strahlen. Tiefer dunkeln die Schatten der Wolkenköpfe. Das sind die Haufenwolken. Schwer und körperlich zeichnen sie sich in den lichten Osterhimmel. Sie drohen nicht wie die Wetterköpfe. Sie spielen mit der Sonne, machen das Land bunter, wenn sie schneeweiß aufgehen hinter blühendem Wald und braunen Brachäckern. Sie sind die Frühlingswolken.

 


Im Frost

An den Bergseiten starren die Kältenebel. Unter des Glasglocke des Frosthimmels schieben dünne Schleiermatten. Die Sonne schleicht an den Graten hin und holt graue Milchglasscheiben herauf. Die Luft steht. Aber hoch über den Gipfeln streiten die Kreuzwinde. Fahlbraune Schleier gleiten vor die Sonne. Der Windrechen reiht sie in lange Reihen. Der Flankenwind kämmt. weiße Glassträhnen darüber. Da droben wogt ein stiller Kampf, und herunten klirrt die Kälte. Die Höhenschwaden wandern. Unendlich langsam wächst brauner Eisdunst über den Südhimmel. Dahinter glurt das Tagesgestirn, matt und verwaschen. Es hat seine Kraft verloren. Die Dunstränder zerfasern, zerschleißen. Schwefelgelbe Zungen lecken heraus, strecken sich, ziehen als meilenlange Pinselstriche von Mittag nach Mitternacht. Der düstere Höhenrauch füllt langsam den ganzen Südraum. Matter werden die Farben, lichter die Schatten. Die Bergrücken verschmelzen mit dem fahlen Gewölk. Noch einmal flammt es glasgelb über der Saileschulter, dann schmelzen alle Farben. Rußbraune Rauchwimpel hangen unter dem leeren Himmel. Und die Kälteschwaden wachsen und wachsen, denn morgen will es schneien.

 


Gewitterstimmung

Eine Stunde nach Mittag taucht ein grellweißer Knäuel über dem Wetterstein auf. Eine Viertelstunde später quillt ein blendendweißer Wolkenhut aus der Schlick. Von unten schiebt ein dunkles Haufwerk. Die weißen Bälle wachsen nach dem Scheitelpunkt. Im Land liegen helle Lichter und scharfe Schlagschatten. Weiß wird der Himmel. Hauchdünne Hexenschleier geistern im Südraum. Die runden Wolkentürme wachsen. Finstere Wellen drücken auf die Wettergipfel. In die Kare fallen stählerne Schatten. Zornig rückt ein Wolkenturm vor die Sonne. Im hellen Silber strahlt der Saum, dann verlöschen mit einem Schlag alle Lichter. In der Ferne grummelt es leise. Mit jähem Ruck befreit sich die Sonne. Gefährliches Leuchten läuft über die Felder, gefolgt von tintendunkler Düsterheit. Dunkler werden die Türme. Die Ballen zerschmelzen. Der Wetterwind rührt im Wolkenbrei. Vor die Wetterherde fallen schwarze Laden. Dahinter irrlichtert es. Und da rauscht es. Die Ulmensamen wirbeln vor der bleiernen Wand. Dann duckt sich das Land im Gewitterregen.

 


Die Quelle

Grüne Zirbenjugend steht um die Quelle, im Wasser besieht sich der Sternsteinbrech, und die Fliegen summen. Aus dem Steinspalt rieselt es gläsern und kühl. Es rieselt und flüstert. Es fängt nicht an, es hört nicht auf. Die Quelle sagt immer dasselbe. Was sie sagt, verzittert in silbernen Ringen und zerfließt. Und sie müht sich Tag und Nacht, Worte zu finden für Gedanken unausdrückbar, unsagbar. Und sie findet kein Ende.

Stumm steht der Bergwald in Mittsommerträumen. Haufwolken bauen darüber, Kuppeln und Türme. Die Hitze flimmert. Gibt es eine Zeit? Aber es war doch Weihnacht, da stand das Rotwild an der Quelle. Und es war Ostern, da kündete der Großer Hahn den Frühling. Und es war Pfingsten, und da sang am Morgen der ganze Wald.

Und jetzt? Steht die Zeit still? Wie Kulissen schieben sich nun Bilder übereinander in unentwirrbarem Regenbogengeschiller. Gutes und Böses, Freude and Leid, schmelzend in der Schale des Zeitlichen. Gibt es das, was sie Vergangenheit nennen und das, was sie Zukunft heißen?

Weit ist das Land, verloren and müde. Es liegt da, bereit sich zurückzugeben in die Hand des Allmächtigen. Mittsommer träumt über den Wäldern, und die Quelle flüstert - und sie bittet immerzu, sagen zu dürfen, was sie nicht sagen kann.

 


Sommer

Die glasroten Kerzen in den Fichtenwipfeln sind am Verglühen. Sie neigen sich und wachsen der Reife entgegen. Am Waldrand steckt der Holler seine weißen Schirme auf und das Geblüh der Heckenrose kündet den Sommer.

Bisher trat jeden Abend die Rehgeiß mit den Kitzchen heraus in die hohe Wiese. Aber eines Tages um St. Barnabas ist es vorbei mit der wogenden Wiesenherrlichkeit. Das lange Gras samt Kerbeldolden, Bocksbartsönnchen und Margeriten liegt in breiten Schwaden auf dem Grund. Dafür zieht Heuduft über die Flur, weht den Waldrand entlang, treibt bis ins Dorf, wo er die Pelargoniensöller der Höfe umspült, und schleicht sich sogar hinein beim offenen Tor der Kirche, um deren Turm die Segler schrillen.

Die Wiese hat das Blühen abgegeben an den Wald. Wenn der Kuckuck nicht mehr viel zu sagen weiß und nur mehr der Pfingstvogel aus den abgeblühten Wildkirschen jauchzt, dann schmücken sich alle Waldwinkel mit heimlichen Blumen. Die Waldfee stellt ihre lichten Ähren in den Sonnenfächer, Wachsblümchen begleiten den Pirschsteig, der Wald-Geißbart schwenkt seine weißen Fahnen über der Bachschlucht, purpurne Knabenkräuter versammeln sich auf der feuchten Blöße, und die Schläge zieren sich mit den roten Blütenkerzen des Unholdenkrautes, über denen der erste Kaisermantel gaukelt.

Wenn es so weit ist, dann weiß man, dass der Sommer mit vollen Wolkensegeln dem Höhepunkt des Jahres zusteuert. Und bald werden von allen Gipfeln die Sonnwendfeuer lodern.

 


Aus Hall

Violettgrauer Nebel verdeckt die Talseiten, dämmerdiesige Luft verwischt alle Konturen und macht die Landschaft zum verschwimmenden Pastellstück. Abgeerntete Kartoffeläcker, die letzten Reste missfarbiger Türkenmauern, dürres Gehälm versteppter Böschungen, dazwischen hie und da von der dritten Mahd kurzgeschorene Wiesenbreite erinnern an sommerliches Wachsen, und darüber hin ziehen die Wanderkrähen.

Der Vollmond brachte Wetterumschlag. Jetzt ist die Ferne ferner geworden, und die Orte rücken zusammen zu dunklen Nestern. Vorbei ist der unausgesprochene Zwang der schönen Tage, weit hinaus zu wandern in das Unbekannte, hoch hinauf in das Abenteuer der Wildnis, das Fremde zu finden, das Eigene zu vergessen, vorüber die Lockung der Sommerabende, hineinzuspähen in das Geheimnisvolle, Unergründliche.

Man sieht wieder das Nahe: die farbig ausblühenden Dahlie am Gartenzaun, das Mosaik der Ahornblätter am Gehsteig, die Bilderbuch-Apfelbäume im Anger, reich mit roten oder grünen Kugeln behangen. Und was sich bewegt, wirkt doppelt lebendig: ein Starenflug, der über die Parkwipfel angebraust kommt, das Rotkehlchen auf der Gartenmauer, die Amsel in den halbleeren Wasserschossen eines Alleebaumes. Jede Form wird zur Offenbarung, und jede Farbe führt ihr Eigenleben.

An solchen Tagen ist die Stadt stiller als sonst. Die Menschen treten auf wie auf einer geschlossenen Bühne. Jeder scheint bekannt, jeder notwendig in seiner ihm zugeteilten Rolle. Poetische Spannung geistert durch die Gassen. Und jeder ist Spieler und Zuschauer zugleich. Das Dasein wird transzendent. Was da ist, was vor die Augen tritt, was man hört, verliert die einseitige Bindung an den Augenblick. Einbettung in Vergangenheit und Zukunft, erlöst aus der Vergänglichkeit der Gegenstände. Der Dohlenflug, der um den in den mildgrauen Himmel tauchenden Kirchturm kreist, wird zum Symbol, die Erker, die Torgewölbe, die Fresken an den Hausmauern ordnen sich einer raum-zeitlichen Wesensschau unter. Die Auslagen mit ihrer Fülle von Dingen erheben sich aus banaler Kundenlockung zu Sinnbildern der Mannigfaltigkeit. Und die Menschen in den Gassen, in den Läden, vor den Toreinfahrten - sie lassen sich erkennen als der Maßstab der Szenerie, als das endgültig Bleibende vor wechselndem Hintergrund.

Vom Caféhausfenster sieht man hinüber in den Park. Von Ahornen und Schnurbäumen rieselt das Laub und überschüttet die strengen Spaliergestalten der Zierwacholder mit vergänglichen, bunten Flecken. Ungerührt starren die steifen Kegel der Lebensbaumzypressen vor der Punktmalerei der Laubhölzer. Indigoblaue, verschwimmende Flecken weit hinten verraten, dass es hinter dem Nebel noch andere Dinge gibt. Aus lichten Tagen weiß man, dass dort die Bergketten den Norden abschließen. Und da mag man sich erinnern, dass dort tief im Graben, von niemand gehört, der Bergbach murmelt und dass von den Lahnern herab das Gamswild in tiefere Lagen zieht. Aber das ist weit weg. Vorstellung von Wirklichkeiten, Phantasiespiel mit realen Dingen und Reflexion. Geistiger Besitz - was geht darüber? Hier aber rücken die Häuser und die Kirchen der Stadt im Dämmerlicht zusammen zu einer großen, gastlichen Stube.

(1980)

 


Der Frühling

Rotkehlchen flog in den Haselbusch. Ein goldenes Wölkchen schwebte mit dem Wind. Der Vogel sah ihm nach und sang. Es war sein schönstes Lied. Und alles war Silberton, und alles war grüne Seide. Da zogen die Dotterblumen den Wiesenbach entlang und beschauten sich im Plapperwasser. Aus dem alten Gras der Haine hoben sich farbige Gesichter. Bunte Sterne fielen in das Vorjahrslaub, und die jungen Birken weinten vor Freude.

Die goldene Zeit war in das Wiesental gekommen. Die Zippe jauchzte über den Wald. Die Amsel jubelte es am Eschenhof. Sie riefen, dass fast die Kehle sprang. Von den Hängen flossen Primellichter. Durch die Gründe huschten Veilchenschatten. Es war still und laut zugleich, und die Vogellaute schwammen auf Blumendüften. Das war aber erst der Anfang all der Herrlichkeit.

 


Der Kuckuck

Bei halber Nacht hub es an: "Kuckuck, Kuckuck ..." Der Wald kam nicht zur Ruhe. Schon lag der Tau unter den blühenden Wildkirschen, schon standen die Leute in der Flur. Und weiter ging das Rufen. Es tönte fern und dumpf wie aus dem Halbschlaf. Heute zum ersten Mal. Horch! War das nicht der Kuckuck? Die Magd richtet sich auf vom Gartenbeet, schaut nach dem Wald - und zählt. An der Pfluggabel lehnt der Bauer und zählt. Der Tippler greift in seinen leeren Sack und zählt. Die Kinder mit den Löwenzahnkränzen im Haar kugeln sich über den Rain und schreien - und zählen. Kuckuck sag an, wie oft, wie viel, wie lang? Kuckuck Zaubervogel, Waldstimme ohne Gestalt! Einer hat die Gestalt gesehen. Am Holzmeiler steht der Förster. Da schwankt der Fichtenast über ihm. Dort schaukelt ein blauer Vogel, äugt mit Feueraugen scheu um sich. Dann duckt er sich, bläht die Kehle mit leisem Lachen: Cha cha cha --- Darauf tönt es in dumpfer Quart: Kuckuck, Kuckuckuck --- und plötzlich, mitten im Lied, schießt kichernd ein brandroter Vogel vorbei wie ein Pfeil. Da ist es aus. Wie närrisch ruft der Blaue. Zweisilbig, dreisilbig, dumpf wie aus dem Fass, hell wie aus der Zauberglocke, mit Gelächter und Überschlag. Droben federt der Ast. Der Zaubervogel ist dahin. Aber es läutet und läutet tief drinnen im Frühlingswald.

 


Der Halter

Der Kühbub liegt in den Jochkamille und träumt. Der Luftzug surrt in den Krumm-Seggen, und der Jochlispel singt im Raum. Wie das einschläfert. "Suun, suun", lispeln die Gräser. Die Sonne brennt. Noch vernimmt der Schläfer den Murmelpfiff wie aus weiter Ferne. "Pfeif du nur zu!" Vielleicht hat der Wind gedreht! Da pfeift es wieder - und noch einmal - vier, fünf Mal hintereinander! Ein Wölkchen gleitet vor die Sonne. Man merkt es bei geschlossenen Augen. Seit wann rauscht der Schatten? Jäh reißt der Halter die Augen auf. Schaut über sich. Da schwimmt es daher, mächtig und dunkel. Es zischt um die harten Schwingen. Will er niedergehen? Der Bub springt auf. Der dort oben dreht den scharf bewehrten Kopf und äugt nach unten. Dann heben ihn drei Flügelschläge schwer und langsam. Er steigt, legt sich breit in den Aufwind, umsegelt den finsteren Felsenkopf. Tief unten huscht ein riesiger Schatten über die Lammer. Es pfeift und pfeift dort unten ohne Ende. Der Halter steht wie gefroren. Er starrt der Erscheinung nach, bis sie als goldener Punkt weit draußen hinter der Schneid verlischt. Dann kann er sich nimmer halten. Zu viel ist es an Kraft an Wildheit und an Freiheit. Und der Juchzer hildert überlaut bis hinüber an die Schattenseite.

 


Die Vögel

Als der erste Frühling kam, war es ein Farbenwunder über allem Vergleich. Aber all das Blühen war den Bäumen zu wenig. Es deuchte sie, als müssten sie zerspringen vor Freude, und es war ihnen, als müssten sie hinausrufen in den Tag, wie es viele Tiere taten. Sie konnten es aber nicht. Das war ihm leid. Als der Schöpfer ihr stummes Bemühen sah, nahm er ein paar tausend Stimmen aus einem großen, paradiesischen Tonstück. Diesen Stimmen gab er Maß und Gestalt. Er legte ein lockeres, buntes Federkleid um sie und verlieh ihnen Flügel. Dann schickte er den Schwarm auf die Erde und wies jedem der Flügelwesen seinen Platz. Da begann das Land zu singen. Die Fichten jubelten mit der Stimme der Märzdrossel. Der Fliederbusch sang einen wunderbaren Amselpsalm. Aus dem Haselbusch perlte das Rotkehlchenlied. Die Birke und die Buche, die Zirbe und die Kiefer - sie erhielten ihre eigene Sprache. Es sang die Heide, und es sang das Schilf, die Fluren sangen und die steinigen Halden. Jeder Platz hatte seinen Sprecher. So blieb es seither. Und so singen die Vögel, was der Baum blüht, was die Wiese duftet, was die Nacht träumt und was der Tag denkt. Jeder redet die Sprache seines Raumes und dichtet die Verse seiner Zeit. Und keine Stimme ist darum der anderen gleich.

 


Föhn

Den ganzen Tag lauerte er hinter einer bleiernen Mauer. Man merkte es landauf, landab, als der Schnee seinen Glanz verlor und als die Spiegelmeisen wie verrückt läuteten. So kam der Abend. Eine Schar rosenroter Wölkchen glimmte im Westen auf und verlosch. Über dem tintenschwarzen Wald flatterte eine grelle Silberfahne. Da sprang er herein. Es rauschte von fern. Der Bergwald seufzte - dann spülte es lau die Lärchenhänge herab. Es ging auf die Nacht. Da begann der Tanz. Es brauste in den Nachtwipfeln, es zischte um den Waldstadel, klapperte mit den Schindeln und pfiff gellend auf einem Rindenstück. Den Waldläufern, die sich am Heimweg befanden, riss er zugleich die Hüte vom Kopf, hieb sie in den nassen Schnee, zerrte und zog an den Försterkrägen. Dann machte er sich lachend weiter. Und immer toller wurde es. Als es dunkel war, rauschten die Schmelzwasser von allen Hängen, Tümpel stauten sich über glattgelecktem Eis. Es war ein Pfauchen und Luren über dem Wald, wo der Föhn den Vollmond durch die Wolken hetzte. Und der Schneefresser fiel in das Dorf, wo diesen Abend die Katzen wie unklug liefen. Er legte sich johlend an das Brunnenrohr, sodass der Strahl über den ganzen Dorfplatz stäubte. Er blies das Dachtraufenwasser der Bäuerin gegen das Kammerfenster und schob den Schnee platschend vom Kirchendach. Über die Wälder schnob die laute Nacht und die Wasser rannen. Drunten aber im Tal hinter der Gartenmauer rieb sich das erste Schneeglöckchen den Winterschlaf aus den grünen Augen.

 


Frühlingswolken

Die Misteldrossel ruft ihr Lied über den Kiefernwald. "Für min Lieb, für min Lieb..." Sie ruft es hundert Mal. Und der wilde Tauber lockt mit runder Stimme. "Nur du du du - nur du du du." Die Vogelkirschen stehen da im Osterkleid, und hinter dem samtdunklen Waldkamm wachsen lichte Wolken. Da quillt es herauf, silbern und taubenblau. Es bauscht sich zu weichen Watten. Es ballt sich zu glänzenden Bällen. Es türmt sich zum fließenden Schneegebirge noch weißer als die Kirschblüte. Es greift spielerisch nach der Sonne, sodass die Landschaft bald in fröhlichem Lichte lacht, bald im Halbdunkel daliegt. Da läuft der Schattenrand eilig den Weg hinauf, der von Gundermann und Günsel begleitet dem Walde zustrebt. Dann huscht er über die Primelwiese, in der die Rehe stehen. Die Krokusblüten schließen ihre Becher, und die Buschröschen schauen zu Boden. Die Grillen verstummen, wo er lautlos die Anwand abstreicht. Aber alles ist nur Scherz. Im nächsten Augenblick lacht das bunte Tal wieder in heilem Sonnenachein, der Grillenchor setzt ein, und die Drossel dichtet. Und weiter geht das lichte Spiel der Frühlingswolken im Maiental.

 


Am Waldstadel

Die Mahd ist vorbei. Ins Waldstadel liegt das Heu bis zum oberen Einstieg. Ab jetzt kümmert sich niemand mehr um den verwitterten und sonnengebräunten Bau, dessen Giebel sich dunkel aus einem Wall von Hasel- und Holler erhebt. Sogar die Sommerfrischler bleiben ihm fern, denn es führt kein Steig herauf, und nur den Jägern steht es zu, die Anwand entlang zu schleichen, denn häufiger als anderswo erheben sich da rote Träger über die Waldschmiele.

So gehört der Waldstadel zwischen Heu and Grummet den Tieren. Als die Mäher abzogen, ergriffen sie davon Besitz. Man kann eine ganze Weile an der Stadelwand sitzen, ohne irgendetwas anderes zu gewahren als das nimmermüde Gezirp der Heuhüpfer um sich oder das Geschimpfe der Eichelhäher im Bachbusch. Dann aber belebt sich der dunkle Bau. Ein grauer Schatten flattert vorüber, schaut knixend vom Giebel, verschwindet im Dachraum, und dann geht dort ein lebhaftes Gefisper and Gewisper los. Den Hausröteln geht es jetzt gut. Graue und grüne Fliegen sonnen sich an den Balken. Um den Vieheinstand herum suchen immer noch die dicken Bremse. Hunderterlei Geschmeiß umsurrt den Hollerbusch, und an den Brettern fiebern die Goldwespen herum wie lebende Edelsteine. Aus den Balkenlöchern steigen Bockkäfer ans Licht und glotzen starr in den goldenen Mittag. Es ist ein ewiges Rispeln und Raspeln um die Heuhütte. Und wenn man stille sitzt, kommt allerlei Besuch. Dunkle Augenfalter umgaukeln still die Quendelrasen am Gemäuer, Schnärren fallen in die Mahd auf der Suche nach Geziefer, und am Dengelstein sonnt sich die Bergeidechse. So merkt man bald, dass man trotz der Stille keinen Augenblick allein ist. Und wie man so im Schatten liegend in den Nachmittag hinausträumt, fängt der Blick vielleicht einen grau-weißen Wisch, der zwischen den Stämmen verschwindet. Weiß der Kuckuck, was es war. Dann wieder erscheint ein spitzes Köpfchen über dem Dengelstock. Jetzt schnellt etwas heran in Gummisprüngen, fährt dem stillen Beobachter schnurstracks über die ausgestreckten Beine, und zusammenruckend in jäher Wendung blitzt das Hermelin erschrocken hinein unter den hohl liegenden Stadelboden.

Dieser dunkle und trockene Platz bildet einen Zufluchtsort für allerhand heimliches Getier. Stockausschläge, Nessel und Glockenblume, Unholdenkraut und Adlerfarn schützen die Einschlüffe mit grünen Palisaden. In diesem sicheren Versteck haben sich Feld- und Waldmäuse eingemietet, aus dem Gekräut schrillt das unverträgliche Gewisper Spitzmäuse. Diese Kleinen suchen immer wieder den Stadelgrund auf trotz des Hermelins und des Zaunigel, der hier sein Standquartier aufgeschlagen hat. Sie alle mag man hie und da am hellen Nachmittag überraschen, wenn ihre Zeit auch die Dämmerung ist. Aber die Heimlichkeit und Stille des Tages lockt diesen und jenen aus seinem Schlupfwinkel. Stundenlang schlummert der Stadel im Heuduft, umgeben vom Geschwirr der Heupferd und dem Gesirr der Schwebefliege.

Wenn dann die Lärchenschatten langhin über die Waldbucht fallen, beginnt ein neuer Akt. Dämmerung verschließt die Waldbucht. Drüben am Waldbach aus Geißbart und Friedlosstauden erhebt sich der Tanz der Glühkäfer. Das Geschwirr der Heupferde im Holler steigert sich. Lang noch strahlen die Balken die Sommerwärme nach. Dunkelheit füllt den Dachraum.

Ein Lager im Waldstadel. Wer es kennt, der tauscht es nicht mit Seidenbetten, und wer sie kennt, die Sommernacht im Wald, der tauscht sie nicht gegen Festsäle, strahlend im Lampenschein. Halb eingegraben im Heu, in den Lodenmantel gewickelt, den Rucksack zum Kopfpolster - so ist es ein königliches Liegen. Noch schimmern aus dem finsteren Raum die Ballone der Wespen, die reihenweise am Firstbaum kleben. Grünlich glost es noch zwischen den Balken, dann fällt dicke Finsternis in den Raum. Der Nachtwind zieht kühl durch die Spalten.

Aus der schwarzen Waldwand gegenüber fiepen die jungen Ohreule. Und jetzt fiept es wieder, aber nicht mehr durchdringend und scharf, sondern weich und ängstlich: "Pie, pie..." - Ein Poltern und Rumpeln und Rauschen hinterher. Still! Es ist Blattzeit, der Rehbock treibt. Ein Stern blinzelt durch die Luke, wo der Flug der Waldfledermäuse aus und ein zittert. Im Buschwall an der Stadelrückwand geistern die Haselmäuse. Eine stille Zeit verrinnt. Jetzt keckert es mit einem Mal gellend, es klirrt durchdringend. Einmal im Hollerstrauch, einmal in der Randfichte, nun in der Birke, deren Zweige an das Hüttendach klopfen. Und nun hebt ein wahrer Hexenball an. Es rasselt über die Schindeln, es kratzt über die Balken, es raschelt im Heu. Das soll einer schlafen! Die Taschenlampe blitzt auf. Dort! Geblendet vom Lichtkegel starren schwarze Kugelaugen aus dunkler Gesichtsmaske, und jetzt kehrt eine weiße Schwanzquaste über den Tram. Das war es also! Das war die Erscheinung vom Nachmittag, dieser da, der Gartenschläfer. Und weiter geht das laute Treiben der Schläfer, nun aber unten am Waldrand.

Die Sommernacht, die kurze, dreht sich über den schwarzen Wäldern. Was tut es, dass man die halbe Zeit wach liegt und dazwischen träumt in fortissimo. Dieser Heuduft, diese Nachtluft, frisch wie Quellwasser! Was tut es, dass dich der Schläferball um Mitternacht noch einmal vor die Hütte lockt, dass der Mond seine Finger durch die Fugen zwängt und dich an der Nase fasst. Was schadet es, dass sich der kalte Morgenhauch lang vor dem ersten Drosselruf auf die Beine bringt! Und hat man sich erst nach einem Pirschgang im Tau das Gesicht im Quellbach gewaschen und lässt man sich beim Sonnenstieg die nassen Glieder von den Strahlen durchwärmen, dann ärgert man sich nicht im Geringsten über eine gestörte Nacht. Tief drunten liegt der Waldstadel in der grünen Bucht. Der Giebel blickt aus weißbestickten Hollerbüschen, und über das Gebälk spricht die erste Sonne. Da unten war es. Und man erinnert sich an die Heimlichkeiten, die der stille Bau verbirgt zwischen Heumahd und Grummet.

 


Geistesgegenwart

Bildung ist ein ziemlich schillernder Begriff. Ihre absonderlichste Definition, geprägt von irgend einer Berühmtheit, lautet: "Bildung ist Geistesgegenwart". Mag sein. Jedenfalls haben einige Haller Obergymnasiasten seinerzeit die Richtigkeit dieser Auffassung bewiesen.

In einer schönen Sommernacht zogen sie wieder einmal durch das Städtchen - einer als Anführer voraus, die anderen, ihn in allen seinen Einfällen nachahmend, im Gänsemarsch hinterdrein, hin über den Stadtplatz, hinauf auf den Marmorbrunnen, hinein in den Magistratshof, am Franziskanerkloster vorbei, am Leopoldinum vorüber, natürlich unter Absingen diverser Gesänge "Im Krug zum grünen Kranze", der "Lore am Tore", "Am Barette schwankt die Feder", "Lindenwirtin du junge" und so manches andere. Dabei vergaßen sie nicht, offene Türen auszuheben, am Stadtrand Ruhebänke auf die Alleebäume zu hängen, Räder auf den Kopf zu stellen, auf gelegentlichen Mullkübeln Generalmärsche zu trommeln und andere ersprießliche Nachtarbeit zu verrichten. Der Lärm wer groß und der Radau nicht unerheblich. So drang er zu Ohren der Stadtpolizei, und schließlich gelang es dieser, die bewegliche Bande irgendwo zu stellen. Die Perlustrierung war unausbleiblich. "Wie heißen sie?" Das galt dem Anführer. Da wurde in dessen jäh ernüchtertem Septimanerhirn die "Bildung" zur Geistesgegenwart. "Ich heiße Max Hauler". Dar Polizist schrieb. Die Pause genügte, um den Bildungsfunken auf die Häupter der anderen überspringen zu lassen. "Und Sie heißen?" "Hans Jelinek". Und Sie?" "Fritz Willomitzer" - Alle kamen sie dran: der Herbert Lampel, der Justus Tschinkel, der Gerhard Schmeil, der konnte das Lachen nicht verbeißen. Da hieß es, "Das Lachen wird ihnen schon noch vergehen!" Und weiter: der Robert Trampler, der Werner Montzka und schließlich der Heinz Stowasser. "Und jetzt", so die Polizei, "ruhig nach Hause, das Weitere wird sich finden!" - Sie gingen, er auch.

Das Weitere fand sich. Nur nicht ganz nach amtlicher Vorstellung. Anderntags klopfte es an die Türe des Gymnasialdirektors. Dem Direktor schwante Schlimmes: "Ja, Herr Inspektor, was führt Sie zu mir?" Da kam die Eröffnung: Einige Gymnasiasten auf frischer Tat ertappt bei fürchterlicher Lärmentwicklung bei Nacht, bei grobem Unfug usw. Es handelt sich um die Schüler Max Hauler, Hans Jelinek, Fritz Willomitzer, Herbert Lampel, Jusitus Tschinkel, Gerhard Schmeil, Werner Montzka, Robert Trampler und Heinz Stowasser. Erst schaute der Direktor verständnislos drein - dann begriff er. Um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig, er schneuzte sich mehrmals, um einen Lachanfall zu unterdrücken. Dann sagte er: "Tut mir leid, Herr Inspektor, ich muss Sie enttäuschen. Die Namen sind mir zwar alle bekannt, sie sind alle an unserer Schule - aber nicht als Schüler, sondern als Verfasser von Schulbüchern. Bitte, überzeugen Sie sich selbst!" Er zog einige Bücher aus dem Regal. "Aber Sie können in die Klassen gehen und sich die Gesichter heraussuchen." Der Polizist war sprachlos. So ein Schwindel, so eine Gaunerei! In die Klassen - nach diesem Hereinfall? Nie! - So blieb es bei einer allgemeinen direktorialen Ermahnung in den oberen Klassen. Im Konferenzzimmer aber lachte man, dass die Kapuze.

 


Im Köglmoos

Mit dem Köglmoos hat der Köglbauer eine Wiese, die ihm wenig nützt. Sie liegt mitten im Wald und mag einst eine "Lacke" gewesen sein, die im Laufe der Zeit verlandete. Heute noch steht sie unter dem Einfluss des Stauwassers einer kleinen Wasserrinne, die jetzt aber ihr Wasser vorwiegend hineinschiebt in die versumpften Waldgründe der Ostseite. Die Wiese ist eine Art Moos geblieben, mit Wollgraswinkel, schwammnassen Sauerböden mit Torfmoosen und Riedgrashorsten. Und hat auch der Bauer versucht, durch Gräben, hineingestochen in den Torfgrund, den Grundwasserspiegel zu senken, viel anders ist es nicht geworden.

Gegen den nordseitigen Wald zu steigt das Gelände etwas an. Über den Zaun heraus langen die Kiefernäste und werfen, wenn die Sonne hoch steht, ein lockeres Schattennetz über die verheideten Streifen. Da besticken im Mai Frühlingsenzian und Fingerkraut die Trockenrasen mit bunten Farben, und der Schafschwingel stellt seine dünnen Rispen auf. Und um diese Zeit ist es am schönsten im Köglmoos.

Was man von hier aus sieht, das ist das im Sonnenschein flimmernde Moos und ringsum Wald, Wald. Waldmauern um die Wiese, Waldmäntel an den Bergflanken dahinter, mit weißen Gipfeln darüber. Und was man hört sind die Rufe der Zippen, die Psalmen der Rohrammern, das Läuten der Meisen, das Schlagen der Finken, die Triller des Baumpiepers. Eine Stunde am Moos ist schöpferische Pause, in der man alles, was draußen vor sich geht, vergisst. Lässt sich diese stille Welt überhaupt einordnen in den Wirbel der Zeit? Oder ist sie nur ein schöner, alter Traum? Was hier lebt, und was hier wächst, wurde nicht geträumt - es wurde einst gedacht. Drum ist es. Und wenn es einmal zerstört wird, so war es. Es ist - es war - ein Teil der Wirklichkeit. Und, was einmal gedacht wurde und Leben wurde in künstlerischem Entwurf, das bleibt.

Draußen aus der Moorwiese ragen Gruppen der Knabenkräuter wie Purpurkerzen, hineingetropft in das matte Grün der sprießenden Seggen und treibenden Simsen. Und Sternliebe stellt ihre bescheidenen Blütenkörbe zwischen die sanftroten Scharen der Mehlprimeln. Es ist eine Komposition aus Purpur, Rosenrot, Weiß und Fahlgrün. Darüber schliert es in feuchten Wellen. Wenn die kaltgründigen Moorböden endlich frei geworden sind, dann sind sie alle da mit einem Schlag. Und die Sumpfdotterblumen spiegeln sich im dunklen Wasser der Gräben. Es mutet an wie ein Wunder, wie sie alle ihre eigene, persönliche Schönheit aus denselben, widerspenstigen Böden saugen, diesen Böden, die so dürftig sind, dass keine Kulturpflanze darin ihr Auskommen findet, nicht einmal die Wiesengräser, derentwegen die Entwässerung angelegt worden war.

Das aber macht den besonderen Reiz dieses versteckten Winkels aus, dass er ein Mosaik bildet aus verschiedenen Lebensräumen. Im Rücken der ansteigende Kiefernbestand, voraus das offene Moos mit seinen Seggenhorsten und Torfmoosdecken, mit den nassen Einschnitten, an deren Rändern Schwarz-Erle und Faulbaum Spalier stehen, ein Streifen Mahd und dahinter feuchter, hochstämmiger Fichtenwald. Gegen Morgen aber schließt verbuschter und verwilderter Sumpfwald mit Tümpeln und Gerinnen das Moos ab.

Nur fern gegen Westen gibt es eine Öffnung. Dort zieht eine Straße vorbei, die aber nur wenig befahren wird. Und wer da fährt, der kümmert sich kaum um das Umland.

Gegen Mittag steigen weiße Wolkenballen über die Wipfel. Die Drosseln haben das Singen eingestellt. In der grellen Hitze glitzert das Laub der Schwarz-Erlen. Eine Duftwelle weht herüber von dort, wo die Traubenkirsche als weiße Kulisse vor den Fichten stehen. Es ist, als gäbe es nichts als nur die schlummerstille Entrücktheit, die menschenferne Einheit der Wildbahn. Eintagsfliegen wirbeln lautlos über den Gräben, auf - ab, auf - ab. Sie vertanzen ihr kurzes Leben. Was ist kurz, was lang? War ihre Sippe nicht schon da vor Jahrmillionen? Fragwürdig wird die Zeit, wenn es um Leben geht. Einige Frühlingsstunden am Waldmoos - ein paar jubelnde Takte aus der ungeheuren kosmischen Symphonie ohne Ende, der unerreicht genialen Komposition. Was bleibt da übrig, als schweigend zu staunen.

Vor den Bäumen zieht ein Goldfalter vorbei. Ein zweiter folgt ihm. In der Luft spielend verlieren sie sich um den Waldbogen. Nun sind sie wieder da, zurückkehrend auf dem selben Weg, und noch einmal, und wieder. Es sieht aus, als hätten sie Nachrichten zu bestellen. Aber so ist ihre Art. Und ihre glasgrünen Augen, so klein sie sind, nehmen einander wahr, sehen die goldgelben Signale ihrer Flügel. Die Mittagsstunde, die windstille, warme, ist ihre Zeit. Ein Tagpfauenauge sucht am Heidestreifen herum. Nach Blüten? Aber sonderbar genug, es fliegt immer dieselben Stellen an: Erdbrocken, Maulwurfshäufen - warum nur? Wer kennt die Bedürfnisse dieser kleinen Wesen, die so anders sind als der Mensch? Lebensforschung und Verhaltenslehre - Stückwerk sind sie und werden es bleiben. Kann die Untersuchung der Farben den Sinn eines Gemäldes lüften? Aber Erleben und Erschauen - sie sind die Privilegien, die uns zugedacht wurden.

Weit drüben in der Birkengruppe versucht der Baumlispel einen kurzen Triller. Dann ist wieder Stille im Waldmoos. Den Raum unter dem Dach der Kiefern erfüllt der Sirren der Schwirrfliegen. Eine Mooshummel lässt sich anlocken vom bunten Geblüh der Kreuzkräuter, dann wechselt sie über zum Frühlingsenzian, der noch blauer als der Maihimmel in der Sonne prahlt. Und sie fliegt ab mit jähem Gebrumm, wie sie die Unerreichbarkeit des Nektars im Blütengrunde erkennt. Dafür räubert sie jetzt an den Blüten des Hain-Wachtelweizens, deren Nektarlager sie von der Seite ansticht, weil sie zu bequem ist den richtigen Eingang zu benützen. So gibt es auch da Spitzbübereien, welche die schönsten Pläne eines Anderen zunichte machen und die besten Einrichtungen umgehen. Aber in der schläfrigen Hitze dieser Stunde ist man leicht geneigt, ihrer Faulheit Verständnis entgegenzubringen.

Was kann man jetzt tun? Langgestreckt am Rücken liegen und das Licht-Schatten-Netz über sich weggleiten lassen in halbwachem Schlummer, umspült von allen Maigeräuschen. Später setzt wieder der Baumpieper ein, und die Drossel sind wieder bei Stimme. Aus dem Fichtenforst herüber ruft der Kuckuck. Vor den dunklen Taxen wehen lange Schönwetterfäden, aufblitzend im Licht und plötzlich verlöschend. Und jetzt bricht wildes Warngezeter los hinten im Staudenrand. In einer Lücke zwischen den Wipfeln werden einen Augenblick mächtig breite Schwingen sichtbar. War es der Bussard oder der Habicht, der drüben im den Steilwäldern des Waldtales haust? Allmählich legt sich der Lärm. Wieder döst das Moos hinein in den Nachmittag. Aber wie viele neue Blüten sich still geöffnet haben, wie viele Puppen ihre Hüllen gesprengt, wie viele Grasähren ihre Wimpel aus den Spelzen schoben - wer weiß es? - denn es geschieht in aller Stille. Und morgen wird das Moos noch einen Schimmer bunter sein als heute. Es ist ja Mai.

 


Der Schlag

Wenn die Sonne im Löwen steht, werden die Wälder stumm. Die Drossel verliert ihre Stimme, und die Amsel vergisst ihre Lieder, die Braunelle hat aufgehört zu schwätzen, die Meisen geistern stiller durch die Stangenorte, und der Grünspecht hat sein Narrenlachen eingestellt. Nicht als ob der Sommer vorüber wäre. Nach langem, heißem Anstieg rastet er oben auf den Gipfeln. Er liegt lang ausgestreckt auf den Birkenhügeln zwischen Sonnendisteln und Augentrost, er schläft im Hitzegeflimmer unter den Haselhecken des Waldrandes, schleicht halbschlafend durch goldbesprühte Hochhölzer, verweilt träumend draußen im Flutlicht des Schlages. Und da ist er besonders gern, das ist jetzt sein Lieblingsplatz.

Schön war der Schlag im Maiengrün, als alle Birken blühten, als der Hirschholler sich mit Blütentrauben besteckte, und die Heckenkirsche ihre Augen auftrat über dem Gewimmel der Wald-Veilchen, der Fingerkräuter, der Lungenblumen. Schön war er, als der Bracher die alten Strünke mit Preiselbeerschellen umkränzte, als der Baumlispel mit hellem Schlag vom Überhälter schwebte und im Fichtenanflug der Fitis jubelte. Es war damals ein rauschendes Fest. Jetzt aber, wo Maria Himmelfahrt ihm die zweite Blüte schenkt, geht er in seinem schönsten Gewand. Eine Flut von Farben überschüttet ihn in königlicher Pracht. Jetzt, wo die Wälder schweigen, ist seine hohe Zeit.

Vom Waldweg, der oben den Schlag begrenzt, bis hinunter in den Schatten des Bachtales schimmert es breit hingelegt in Farben hochfestlicher Brokatgewänder. Ein rosenroter Wall folgt den Waldmauern. Unholdenkraut blüht. Hoch hinein in das Dunkel der Stammtore baut es das Maßwerk seiner Blütentürme, verhüllt die Windwürfe mit Purpurdecken, zerfließt in der Tiefe zu rosigen Schleiern. Nicht mehr Einzelblüten, spärlich in das Grün gesetzt, mustern die Schlagränder, eine rote Flut überschwemmt sie, und über ihren Wellen gleitet auf stillen Segeln der Kaisermantel, der Falter der Waldstille, der Sommerfreiheit. Und andere Falter kreuzen seine luftigen Wege. Denn nicht nur die zweite Blüte bringt der Frauentag den Waldschlägen, sondern auch die zweite Falterparade. Sie alle, die bisher ein dumpfes Raupendasein führten in den Krautwildnissen am Bach, in den Himbeerverhauen, in den Distelnestern, in Grasschöpfen und Quendelrasen sie sind jetzt da - erlöste Hochsommergeister. Pfauenauge, leuchtend in frischem Schmelz, umgaukeln die Sträuße des Kunigundenkrautes, sitzen flügelklappend in den Dolden, bald aufglänzend in Perlmutterfarben, bald rindenfarbig düster verlöschend. Der Admiral setzt rote Flugsignale in den Blütenrausch des Schwungkrautes, das als dichtgeschlossener Teppich die Schlagmitte vergoldet. Perlmutterfalter, Heufalter, Scheckenfalter spielen, gaukeln, haschen sich. Raschen Fluges irrt der Distelfalter um die blühenden Horste der Walddisteln. Über all dem Gezitter und Geflitter der Reitgrasschöpfe, die hinausragen über das silbergrüne Blattwerk des Waldgreiskrautes, über den Nebel hauchzarter Straußgräser und roter Schmielen, über dem Duft der Walddostbüschel flimmert die Wärme. Und das Sirren der Schwirrfliegen, das Summen der Waldhummeln, das Geigen der Heupferde lässt die Stille tönen.

Am oberen Schlagrand steht eine alte, dicke Fichte. Ihre Stammwurzeln legen sich aus zu schönen, von glattem Moos überzogenen Bänken. Da geht keiner vorüber. Da rastet der Jäger nach der Frühpirsch, da zählt der Pilzsucher seine Beute, da essen die Beerenkinder ihre Äpfel; mancher Sommergast aus dem Dorfe verweilt hier, legt sein Buch beiseite und schaut. Zu schön ist es hier. Am Schlag leuchten die Farbfelder satt und heiß, umgeistert von lautlosem Getriebe, drüben, hinter dem Graben schließt sich der grüne Vorhang. Wald, dichter, junger, gesunder Wald. Darüber blendet der steile Kalk der Felsmauern, überquollen von schwanenweißem Sommergewölk. Feiertagsstille heiligt den Raum.

Langsam drehen sich die Schatten der Waldmauer herein in den Schlag. Noch steigen Distelflocken auf von den Sonnenstreifen, segeln als silberne Sterne dahin, Spinnenfäden wallen gleißend, in Regenbogenfarnen schillernd vor dem dunklen Behang, verlöschen plötzlich im Schatten. Und jählings schreckst du auf aus dem Halbschlummer. Es rauscht unten im Himbeerverhau: "Pii, pii ..." - Zweige knistern, es rauscht durch den Adlerfarn, ein roter Fleck taucht auf, verschwindet im dichten Unterwuchs: "Pii, pii ..." - Ein Haupt mit weiten Lauschern schnellt aus dem Gekräut, ist weg, ist wieder da - nein, das ist nicht mehr die Rehgeiß, Stangen mit weißen Enden blitzen auf - prasselnd und schmälend verliert sich der Spuk unten in der Dickung. Waldsommer - Blattzeit. "Heiß ist der Tag und schwül die Nacht - nun, roter Bock, nimm dich in Acht!" Wieder umfängt Stille den Schlag. Dunkle Sammetfalter taumeln selig hinein in das Schweigen. Wie vorher revieren die Wasserjungfern den Waldrand entlang, und die Schrecke fiedeln. Und weiter blühen die Blumen dem Festtag entgegen: Goldrute und Wundkraut, Schafgarbe und Dost, Rapunzelglocken und Kunigundenkraut. Und die hohe Zeit segnet den Schlag um Maria Himmelfahrt.

 


Laubsänger

Die Birke vor unserem Fenster, die großzügig die Jahreszeiten ansagt und verborgen in ihrem Stamm das Geheimarchiv von Jahrzehnten trägt, steht noch in dichtem Sommerlaub, obwohl die Hundstage allmählich zu Ende gehen. Ihr grüner Gleichmut gibt noch kein Zeichen einer Änderung. Wie aber heute am Nachmittag die Stare zu schwätzen beginnen, so wie sie es jeden Tag tun, seit die Holunderbeeren reifen, und wie das mausernde Amselhähnchen in der Balkonecke zum üblichen Sonnenbad auseinander fließt, geht in der Birke etwas Ungewohntes vor sich. Trotz der heißen Windstille zittert ein Blattbüschel, schwankt ein Astende, schaukelt ein Hängezweig, bald oben, bald unten, bald hinten, bald vorn. Kaum geahnte Schatten huschen im Lichterspiel des Laubes. Das Auge sucht vergeblich ihre Gestalt zu fassen. Setzt sich aber doch einmal eines dieser Sommerwesen für Augenblicke auf einen Zweig in der Lichtbahn, dann erkennt man nicht viel mehr als einen zarten Vogelumriss in unscheinbar verschwommenen Laubfarben. Und schon wieder verwischt sich die Gestalt, umrieselt von Flügelgeschwirr. Woher kommen die ungewohnten Gäste? Was wollen sie? Noch regiert der Sommer im Land. Noch blüht es hundertfarbig in den Gärten, noch liegen bunte Teppiche draußen auf den Waldschlägen, und der Fluss strömt noch im breiten Sommerbett. Aber man kann es nicht bestreiten - sie sind da, die kleinen Laubsänger. Sie bringen lautlose Unruhe in das Schweigen der heißen Stunde. Sie scheinen auf wie Signale des Übergangs. Spätsommerunrast hat ihnen die Flügel gelockert. Wo werden sie morgen sein? Ihre Fremdheit in diesem Raum lässt nur kurze Dauer erwarten. Vielleicht rufen sie schon heute Nacht die Sterne zu langer Fahrt. Wenn die Störche ihre Heimat verlassen, liest man davon in allen Zeitungen. Niemand zweifelt daran, dass ihre mächtigen Schwingen sie in die Gleicherländer tragen können. Aber diese hier? Dieses winzige Geflügel, von dem kaum jemand Kenntnis nimmt, diese Vogelzwerge mit den kaum fingerlangen, schwachen Flügelchen - liegen vor ihnen nicht dieselben Strecken? Ziehen sie nicht die gleichen Straßen? Wie vermögen so verletzliche, leichte Wesen die unsäglich langen Flugstrecken zu bewältigen? Was macht ihnen Mut zu derart verwegenen Plänen? Wie können so zarte Naturen die tausend Gefahren einer Reise ins Ungewisse überstehen? Rätsel, die sich Jahr für Jahr wiederholen! Die Wanderer gehen und kommen wieder zu ihrer Zeit, sie selber oder ihresgleichen, sicher, unbeirrt!

Die Birke vor dem Fenster prangt noch im vollem Sommerkleid. Auf ihren Blättern zaubert die Hundstagssonne grelle Lichter. Winzige, ortsfremde Vögel geistern ruhelos durch ihre Krone. Über den Bergkamm herauf quellen schwere Wetterwolken. Ob sie nicht Wetterumschlag bringen? Morgen ist Bartholomäustag!

 


Eindrücke aus der Pflanzenschau im Hofgarten

Die Signale der rot-weiß-roten Fahne sind vielfältig. Ihre Anwesenheit erhebt nicht nur ein Musikfest oder einen Schützenaufmarsch zur Staatsaktion, sondern adelt auch einen Alpengasthof oder eine Schutzhütte zu einer Kultstätte höherer Ordnung. Sogar die Pflanzenschau, vor deren Eingang sie weht, erhält durch sie einen Stich ins feierlich-staatliche. Eine für alles. Sicher geht es auf keinem Kongress internationaler zu als hier in den Gewächshäusern der Pflanzenschau.

Leicht betäubt von der Subtropenatmosphäre, die nur durch den Einstrom heimischer Luft aus dem Park etwas gemildert wird, überreicht die Kassiererin die Eintrittskarten. Gleich gegenüber dem Eingang verlocken vier mächtige Kugelpolster zum Sitzen. Welcher Irrtum! Es sind Kakteen, Sie machen Türsteher für das Kommende. Denn um die Ecke lässt man Europa hinter sich. Licht, Sand und Steingetrümmer. Darin eingenistet eine Orgie organischer Stereometrie. Sind das überhaupt Pflanzen dieser Erde? Diese prallen Stachelkugeln, diese barock gewundenen Pilaster, diese kannelierten Säulen, diese aufsteilenden, bedornten Riesenschlangen - Formen, die nur mehr durch ihre grüne Farbe an Pflanzen erinnern: Kugelkakteen, Säulenkakteen, Igelkakteen, bläulich gekörnte Bischofsmütze. Der lebensfeindliche Hauch staubiger Mesa umwittert sie, die Stimmung mexikanischer Halbwüsten. Man glaubt die Schatten kreisender Geier zu sehen und das Geheul der Coyoten zu vernehmen. Es wird kaum bewusst, dass sich in diese amerikanische Parade einige Afrikaner eingeschlichen haben, Euphorbien, genau wie die anderen in strengem Wüstenstil gebaut.

Die lange Vitrine der gegenüberliegenden Wand weist eine Auswahl von Taschenausgaben pflanzlicher Grotesken auf: Nester von Mammillarie, Echinocereen, Pilocereen, Dornenpölsterchen aller Größen, aschgraue, grüne, braunrote, Anfänge mutigen Pflanzendaseins, nur gestauchte Sprosse, alle Blätter in Dornen gewandelt, bewehrt gegen Glutsonne, Trockenheit und Getier.

Ein paar Stufen hinauf, eine Türe, ein anderer Raum. Gibt es größere Gegensätze? Von der Höhe herab plätschert ein kleiner Bach in ein weites Becken. Wasserdampfgesättigte Luft umschliert den ganzen Raum. Den Besucher erfasst Regenwald-Illusion. Vom Spiegel des Beckens steigen Wachstumsdünste auf. Die Riesenflöße der Victoria regia aus dem Amazonasgebiet müht sich, zugleich mit den Scheiben des chinesischen Schildkrötenblattes die Oberfläche zu decken.

Dazwischen schaukeln Herden von Elchhornfarn mit ihren blasigen Schwimmblättern. Schon die aus dem Grund aufsteigenden Gasblasen genügen, um sie in nickende Bewegung zu versetzen. So flottieren sie auf und ab, nach Gleichgewicht suchend wie Aufstehmännchen. Wer sieht den absonderlichen Geschöpfen an, dass sie, bei ihrer irrsinnigen Vermehrung, gelegentlich ganze Kanäle und Flussarme ihrer Tropenheimat verstopfen? Im Hintergrund, an den Rand gedrängt, recken exotische Seerosen ihre Blütenschalen hoch über das Teichniveau steil heraus aus gedrehten Blattgruppen.

Rings um das Becken und den Wänden entlang herrscht ein Gedränge wie in einem Dschungeldickicht. Geordnetes Chaos - chaotische Ordnung!

Den Fuß der Teichwanne bekränzt ein breites blau-rotes Band - blaue Achimenes, rote Begonien - Grüße aus Mittelamerika. Darüber und daneben verschränkt sich das Blattwerk zu unübersichtlich reichhaltigem Mosaik. Wie viele Umrisse! Wie viele Farben! Die bunte Ornamentik des Coleus neben gefleckten Schildblättern der Dieffenbachia, die Blattellipsen der Piperstöcke mit versilbertem oder purpurn ausgezogenem Geäder, Maranta wie künstlich bemalt, dekorativ gestreifte Aphelandra und ... und - verwirrende Mannigfaltigkeit auf kleinem Raum gehäuft. Es versagt das Wissen, er verweigert sich das Gedächtnis.

Was bleibt ist ergebenes Staunen. Von den Wänden und Regalen herunter winken bunt getigerte Herzblätter der Caladie, Fuchsien spielen mit farbigem Blütengebaumel, Flamingoblume grellen zinnoberrot heraus aus blaugrünem Hintergrund, Blutblumen strecken die gelben Pinselköpfe aus geschwungenen Lederblättern - "...wer kennt die Völker, nennt die Namen...?"

Ein freundlicher Wärter erscheint und gibt sich Mühe, dir aus der Verlegenheit zu helfen, ein Magier in diesem Zaubergarten. Papier und Bleistift - sonst ist morgen nichts mehr übrig als ein überwältigender Gesamteindruck. Gegenüber an der Wand paradiert ein rosenrotes Spalier von Amarant, in das sich gelbe, weiße und dunkelrote Farbentupfen anderer Art verirrt haben. Aber das ist nicht alles.

Eine dritte Türe öffnet sich. Sträucher und Bäume. Da treten die Blüten in den Hintergrund. Eine Wolke von Grün umgibt dich. Wie viele Grün gibt es eigentlich? Die Sprache müsste so reich sein wie jene der alten Maori, die an dreißig Stammworte für diese Farbe zur Verfügung hatten. So aber muss man sich mit Vergleichen helfen: Musagrün, Ficusgrün, Monsteragrün, Aspidistragrün und so fort. Diese and viele andere Grüne hier nebeneinander in aller Freudigkeit.

Da breiten die Bananen ihre urzeitlich mächtigen Blattsegel, da halten Palmen mancherlei Art ihre Fächerwände über Baumwollstauden und fruchtende Kaffeebäumchen. Aus den Astgabeln von Baumruinen drängen Überpflanzen verschiedener Sorte: Tillandsien lassen daraus ihre Greisenbärte flattern, Bromelie öffnen ihre Wasserbecher dem Tropenregen, für den sie geschaffen sind, zierliche Farne nisten in den Achseln, aufsteigend aus Moospolstern. Nur für die gewaltigen Elchhornfarn aus der Südsee reicht diese Unterlage nicht. Dafür entfalten sie aus den Wandecken herab ihre unerhörten Blätter, heraus aus den braundürren Körben der eigenen Unterblätter.

Wer weiß, was alles in diesen Hunderten grüner Zeitgenossen steckt? Wie viel Kräfte sind versammelt in diesen stillen Mitbewohnern der Erde: Nahrung und Genuss, Heilkraft und Gift, jedes Gewächs mit anderer Begabung, anderer Wirkung und als Dreingabe Formenreichtum und Harmonie, gleichviel ob aus Wüste oder Regenwald.

Besucher kommen und gehen, lassen sich führen durch alle Klimazonen, durch alle Erdteile. Wo der Reichtum die Fassungskraft übersteigt, wird man still. Und trittst du schließlich aus den Glashäusern ins Freie, benommen von der fremden Atmosphäre und der Fülle der Eindrücke, hinaus in den Park, dann wird dir bewusst, dass auch dieses Leben hier im milden Licht des Alpentales ein Teil des unfassbar großen Ganzen ist.

 


Die Fichtenzeile

Ein Dammweg führt hinaus in die Felder. Irgendwer hat ihn ein Stück weit mit Fichten eingefriedet. Sonnseitig sind sie zu schmächtigen Fünfzehnmeterstämmchen aufgeschossen, im Schatten aber haben sie es nicht vermocht, ihr Taxwerk aus dem Bereich des Weideviehs zu heben. So zieht sich die Fichtenzeile wie ein Hohlweg hinein in die Gemarkung. Kein Mensch würde sich um die dürftige Baumreihe kümmern, läge sie nicht so nahe zur Stadt und kein Schwanz, ob behaart oder befiedert, würde sich darum scheren, läge sie nicht als Insel im offenen Land. So aber wird sie manchem zum Schicksal.

Das Hermelin, das im Steindamm an der Baumzeile hauste, verfärbte sich, obwohl erst Mitte des Weinmondes war. Und so fiel Schnee. Es schneite und schneite. Ein Notwinter lag schwer auf dem Lande. Die Krähen wussten sich zu helfen, aber den Eulen ging es ans Leben. Alle Mäuse steckten tief unter dem Schnee. Der Steinkauz strich die Wege ab und schwang sich in de Fichten ein. Aber auch da regte sich nichts. An das Geäst gedrückt starb er vor Hunger und Schwäche. Niemand hatte es bemerkt. So lag er eines Tages auf dem Fichtenweg, zerpflückt von Krähengesindel.

Kaum eine Schlittenspur lief um diese Zeit zu den Fichten. Man konnte, wann immer, die Fichtenzeile entlang stapfen und begegnete niemand außer dem scharfen Ost, der hier wie durch einen Korridor zog. Aber hier lag eine Bussardfeder. Also hatte der Mauser hier gelauert. Zu den Fichten waren in der Nacht die Hasen gepilgert, denn da lag der Schnee niedriger, und die Halme stachen gelb daraus hervor. Und da stand zu lesen, das ein Streuner einen kümmernden Hasen angejagt hatte.

Und wieder verstrichen leere Gänge. Und wieder hatte in der Zwischenzeit die Fichtenzeile eine Untat gesehen. Unter dem Randbaum spielte der Wind mit bunten Federn. Die Felder schwammen im Nebel. Vergebens hatte der Sperber versucht, auf den Wegen eine Ammer zu schlagen oder im Eichengehölz eine Meise zu fassen. Hungrig strich er dem dunklen Gehege zu. Da wogte es heran über die Schneebreiten - schwarze, goldgemusterte Schwingen. Blitzschnell fuhr er die Dickung entlang, warf sich jäh über die Fichten, stieß zu und griff den nächsten der bunten Bergfinken. Die Randfichte war ihm Rast und Kröpfplatz. Es war eine lange, harte Zeit.

Und das Hermelin im Damm wurde braun. Eines Tages hagelten die Stare herein in den Fichtenschopf, pfiffen und juchten. In der Nacht aber gab es Ball unter den Fichten. Im Mondlicht fuhren dunkle Schatten hin und wieder, jagten und haschten sich, schossen Kapriolen und standen wie versteinert, schlug irgendwo ein Hund an. Am nächsten Morgen hingen Flöckchen von Hasenwolle an der Borke, und der Schnee, den hier der Schatten festhielt, während alles Land schon aper lag, war von langen Sohlen zerspurt.

Wieder trieb der Häusler sein Kunterzeug an die Wegränder. Das Vieh verbiss, was noch zu verbeißen war und streute freigebig umher, was es nicht mehr brauchen konnte. Da kam eines Tages der neue Jagdkartenjäger. Er sah die verstreuten Andenken, schüttelte den Kopf und steckte schließlich ein paar der Dinger in eine Zündholzschachtel. Abends am Stammtisch fragte er dann, ob denn wirklich und wahrhaftig das Rotwild bis zur Fichtenzeile herunterwechsle. Da, diese Losung ... Es wurde ein heiterer Abend.

Um die Fichtenzeile grünte es. Die Saaten schlossen sich. Immer wieder fand durchreisendes Geflügel die Baumreihe. Heute waren es Rotschwänzchen, morgen Ortolane, übermorgen Fliegenschnäpper. Federchen verrieten alles, so die Stücke selber unsichtbar blieben. Aber auch sonst waren es jetzt nicht nur taube Gänge. Oft genug prellten bei Annäherung Flügelpaare aus den Zweigen. Auch die Fichten selber bemühten sich um ein freundlicheres Aussehen. Sie schienen nicht mehr gar so vernachlässigt und verschlossen, als sie schüchtern die Maitriebe ansteckten. Weit drüben am Hang bauten indessen die Eichen ihre feuchtgrünen Kuppen, und von dort jodelte der Pfingstvogel, schnurrten die Turteltauben. Vom äußersten Fichtenzweige warnte jedes Mal der Dorndreher, wenn jemand den Dammweg daherschritt. Er war immer da und benahm sich, als wäre er der Geist der Fichtenzeile. In Wirklichkeit ergaben ihm die Bäume einen weit beherrschenden Lauerposten und Schutz vor den Greifen. Seine Untaten gaben Kunde von ihm. Überall auf den Berberitzendornen und sogar dem Stacheldraht steckten die aufgespießten Kerfe.

Regelmäßig lagen unter den Bäumen Gewölle mit Mäusehaaren, aber ohne Knochen. So musste ein Tagraubvogel der Täter sein. Über den Feldern zog ein Turmfalkenpaar seine Schleifen oder hing rüttelnd über den Rainen. Immer wieder schwangen sich die beiden in die Fichten ein. Sie hatten die Bäume zum Gewölleplatz erkoren und ließen sich durch den ewig schimpfenden Dorndreher nicht in ihren Geschäften stören. Jede Meise, jeder Fink, jede Krähe, jede Ringeltaube peilte die Fichten an und sicherte hier, bevor sie die Felder querte.

Hätten die Fichten ein Gästebuch geführt, es wäre ein buntes Verzeichnis von allem geworden, was da fleucht und kreucht aus der ganzen Umgebung. Gar zur Zeit, wenn das rot-weiße Pinzgauervieh auf allen Feldern ging und die Zeitlosen aufstanden, ging es da zu wie in einer Passabfertigung, nur viel heimlicher und stiller. So merkten die Leute, die ihre Hunde ausführten oder ihre Bürolungen lüfteten, von allem sehr wenig. Und so erschien den meisten die Fichtenzeile nur als eine langweilig-düstere Unterbrechung der noch langweiligeren Felder, unsinnig und fehl am Platze. Verstanden sie doch nur zum geringsten Teile, was die Bäume zu sagen hatten, den sie taten es allzu gern nur so nebenbei.

 


Drei am Wasser

Für diesen oder jenen ist ein Bach einfach ein Bach. Da rinnt Wasser bald schneller, bald langsamer; da gibt es zwei Ufer, ein rechtes und ein linkes, und im Grund liegen Steine, bald größer und bald kleiner - fertig. Dagegen ist nichts einzuwenden.

Man kann einen Bach aber auch anders betrachten. Vielleicht mit den Augen eines Malers. Dann erschließt sich ein gläsernes Farbenspiel; oder mit den Augen eines Geologen. Dann fängt er an, die unwahrscheinlichsten Geschichten zu erzählen. Will man aber etwas aus dem intimeren Bachgetriebe erfahren, dann fragt man am besten die Bachspezialisten.

Als wir so an einem Ufer saßen und uns etwas vorrauschen ließen, kam einer dieser Fachleute an. Seine glatte Tracht schimmerte schwarz-weiß-grau, und mit der langen Schleppe wippte er wie die Zweige im Wasserwind. Erst sprang er hoch in die Luft, mitten hinein in einen Mückenschwarm. Dann klimperte er rasch eines herunter und machte sich sodann an die Arbeit. Er rollte das Gries entlang, pickte da, stocherte dort, rannte hier einem unbekannten Ding nach und trieb es nach Bachstelzenart so munter, dass wir ihn ins Glas nahmen. Da kam denn allerlei auf. Die Randsteine wimmelten von Krabbeltieren. Mengen von Kerfen befassten sich gerade damit, aus dem Wasser zu steigen. Es schienen Steinfliegen, Mücken und Köcherfliegen darunter zu sein. Nun erkannte man auch an den Randsteinen ganze Reihen leerer Larvenhäute. Die Stelze hob sich und fuhr rüttelnd über den Gump. Dort trieben hundert weiße Segel mit der Strömung. Es war offenbar großer Schlüpftag bei den Eintagsfliegenn und Festtag bei den Stelzen. Allmählich entschwand der Wippschwanz bachaufwärts, kreuzend und flatternd über Bachbord und Wasserspiegel.

Nach einer Weile erfolgten ein schriller Pfiff und ein blauer Blitz. Ein Erlenast federte, und da spiegelte sich der Königsfischer blinkend und schillernd im Gump. Er saß still und achtete nicht im mindesten auf das Gekrabbel am Ufer, das doch die Stelzen in heftige Aufregung versetzt hatte. Er starrte nur in den Gump, als wäre er behext durch sein schönes Spiegelbild. Dann war er plötzlich weg. Das Wasser zog Ringe, und wieder federte der Ast; er saß oben, und seinen Keilschnabel hinunter glitt ein Pfrillenschwänzchen. Ihm gehörte die Fischweid im freien Wasser, und wenn er auch sicher ab und zu eine Wasserjungfer von der Oberfläche nahm oder einen Schwimmkäfer vom Spiegel holte, tat das offenbar den Bachstelzen keinen Eintrag.

Als die Stelze abermals erschien und herumkobolzte, kümmerten sich die beiden nicht umeinander, zeigten nicht Neid noch Abneigung, sondern gingen ihren verschiedenartigen Jagdarten nach. Küsten- und Hochseefischer im eigenen Gehege.

Diese Neutralität blieb auch erhalten, als schließlich der dritte Bachspezialist anschnurrte. Das ging geschwind wie der Wind. Auf einmal stand er da am Prallblock mitten im Strudel. Er verbeugte sich heftig, sodass das weiße Hemd über der braunen Hose blitzte. Er knixte und wippte, rollte dann die Kante entlang, sprang unbekümmert in den Schaum, war weg, war wieder da und schwamm kreiselnd über den Gump, duckte sich und blieb verschwunden. Wir suchten mit dem Glas im gläsernen Kessel. War er nicht da unten auf dem Grund? Von dem bläulich gebrochenen Licht flachgedrückt bewegte er sich dort unten, den Schnabel in der Strömung, geduckt, anscheinend von der Strömung niedergehalten. Das alles ging schnell genug. Aber man konnte doch gewahren, dass er da pickte und dort bohrte, dass er sogar einen Kiesel wendete. Nach einem kleinen Wirbel schaukelte der graue Federpelz wieder am Spiegel, nahm Aufschwung und saß am Stein, indem er etwas dagegen stauchte. Dann sang er zwischen Eisvogel und Stelzen ein wasserfrisches Schmetterlied, das aber in wütendes Gescharr und Gezirp überging, als ein Artgenosse den Bach heraufpurrte. Wie der Blitz hinter ihm her, kreuz und quer über Gries und Gump, Schwall und Stein. So verhielt sich das also. Der liebe Artgenosse durfte da nicht herein in das Revier, während jeder andere da treiben konnte, was er wollte. Da gab es Krach und Aufregung. So war die Regel. Denn auch als später eine zweite Bachstelze sich einstellte, gab es Raufereien mit der ersten. Die Wippschwänze flatterten aneinander hoch, verfolgten sich in gewagten Sturzflügen, bis endlich eine davon immer noch empört schwänzelnd und wippend den Posten behauptete.

War der stille, einsame Königsfischer besser? Im Gegenteil. Wer weiß, woher ein Zweiter angepfeilt kam. Jedenfalls stoben plötzlich zwei blau-grün-rote Funken über den Bachlauf, die scharfen Pfiffe steigerten sich zu schneidenden Trillern, und hernach rief der Hausherr noch eine erboste Serie von Tonläufern hinterher.

So ging das also zu! Mag sein, dass sich die drei Arten innerhalb der Familie besser benahmen. Sicher jagten und fischten die Paare samt dem Jungvolk im selben Gebiet, aber sonst duldeten sie ihresgleichen nicht in der Nähe.

Es war wieder still am Bach. Der Schwall murmelte, die Farne wehten im Wasserwind, und blaue Lichter zitterten über das Bodengeglimmer.

Die drei Spezialisten hatten gezeigt, dass der Bach nicht einfach ein rinnendes Wasser ist, sondern ein Raum mit allerlei Gemächern und allerlei verschiedenartigem Leben. Wir suchten die Ufersteine ab. Bachauf, bachab klebten da die verschiedensten Nymphenhäute, krochen Wasserkäfer, starteten Zuckmücken, Tanzfliegen. Im Strudel drehten sich mitgeschwemmte Tierchen und trieben rasch dahin auf dem Wasserstrich. Wir lugten in die klaren Wasserkammern. Hin und wieder huschten die winzigen Schatten von Kleinfischchen. Viel sah man da nicht. Aber schließlich besaßen wir nicht Eisvogelaugen. Wir griffen auch in das Wasser und sahen nach, was die Wasseramsel wohl da unten am Grunde getrieben haben mochte. Wir drehten Geschiebesteine um und siehe da - ganze Büschel zierlicher Köcher klebten da, darin die Larven der Köcherfliegen und dazwischen trieben sich allerhand abenteuerliche Gestalten herum, plattgedrückte Larven derEintagsfliegen, da zuckelten Mückenlarven, da schlichen in gefährlicher Kriegsbemalung die Räuberlarven mancher Steinfliege blutdürstig wie Tiger.

Kein Zweifel: Hier gab es drei Stockwerke im Bach: das Ufer samt dem Spiegel, das offene Wasser und die Mondlandschaften des Bachgrundes. Die drei Spezialisten hatten sich offenbar in den Bach geteilt. Jedem kam ein Stockwerk zu, und wenn sich auch mitunter die Reviere überschnitten, im Wesentlichen hielt sich jeder an den Raum, der ihm zugewiesen war nach seinem Bau und seinen Fähigkeiten: der Uferjäger, der Stoßtaucher, der Grundfischer. Für alle war auf das Beste gesorgt. Wir steckten die Gläser in die Futterale. Wir hatten gelernt, den Bach mit anderen Augen zu betrachten, mit den Augen der drei Fachleute am Wasser.

 


Schwirrfliegen

Im Strahlenfächer, der durch die Kiefernzweige in den Wald fließt, zittern goldene Punkte. In leisem Wiegen und sanftem Drehen versprühen sie ein lichtes Funkengeriesel. Eintöniger Schwirrgesang steht am heißen Sonnenort.

Wie an Strahlenfäden aufgehängt zucken sie auf und ab, rücken sie hin und her. Wenn man eine der wunderlichen Gestalten anpeilt, ist die Stelle leer.

Darin halten sie es alle gleich, die bunten, hübschen Fliegen, ob man ihnen im dumpfen Pflanzenwust der Auenwälder begegnet oder in der Verlorenheit der Blockgipfel, ob im dunklen Hochwald oder in der hellen Mahd. Das Schwebespiel hat ihnen ihren Namen verliehen, als gemeinsames Zeichen ihrer Sippe, neben dem Vorwiegen gespitzter Tropfenpuppen und dem Eigensinn einer besonderen Spurader im Flügel. Sonst aber versammelt sich unter ihrem Wappen eine bunte Gesellschaft, wechselreicher und verwegener in Lebensgewohnheiten und Sitten als irgendeine andere Gruppe der großen Zweiflüglerverwandtschaft.

Die alte Diptereneigentümlichkeit eines mehr oder weniger anrüchigen Vorlebens haftet auch den meisten von ihnen an. Im Mulm und Moder alter Strünke, im Schlamm und faulen Laub spulen sie ihr Larvendasein ab und sind da zu ihrer Zeit, bunte Panzerleiber, in Lackfarben schönster Art. Manche aus ihnen treiben sich als wilde Bienen an Dungstätten und faulen Tümpeln umher, in denen sie als Rattenschwanzlarven ein unsauberes Dasein führten in den bescheidensten Ansprüchen, schlecht und recht, aber immerhin friedlich. Das kann man von anderen nicht behaupten. Sie sind zu regelrechten Räubern geworden. Um den Hollerzweig, der dick mit Blattläusen umsponnen ist, schlängelt sich ein bleiches Wurmding, hinten dick, vorne spitz, mit verborgenen Enterhaken bewaffnet. Wo die Läuse am dicksten sitzen, stoßt es bis zu zehnmal hintereinander, und jedes Mal hat einer der faulen Schnabelkerfe ausgezappelt. Am Hollerbusch, im Rosenstrauch, im Distelwall, in Stachelbeerzaun, überall, wo es Läuse gibt, morden und fressen die Blattlausdrachen. Daneben hängen sanft schwirrend goldäugige Fliegen im Blütenduft ihres Hauptlebens - Lebensanfang und Entwicklungsziel der wilden, hässlichen Larve.

Noch toller treiben es andere Gattungen. Um Dost und Baldrian des Auwaldes spielen bunte Riesenfliegen - oder sind es Hummeln? - gekleidet in Elfenbein, Ebenholz und Gold - Volucella, die schöne Federfliege. Woher kommen sie? In den Kellergewölben der Hummelnester lief ihre Vorzeit ab. Hummelfutter und Hummelbrut bildeten den Lebenszweck der gefährlichen Mieter. Heimliche, versteckte Ausbeuter waren sie, die ansehnlichsten der Schwirrfliegen, sie und andere, ähnliche Formen im Hummelkeller, im Bienenstand, im Wespennest. Und als ob die Umgebung abgefärbt hätte, etwas von der Gestalt, den Farben, dem Flug der wehrhaften Opfer haben sie an sich, die wehrlosen, unerkannten Schmarotzer.

Etwas Wildes, Fahriges liegt überhaupt im Wesen der hübschen Zweiflügler - der aufreizende Flugton, die ungestümen Flugstöße, das scheue, hellsichtige Verhalten. Und ihre Rüstung ist gut. Von weitem gewahren die fein gefelderten, großen Augenkugeln die Farbflecken der Blütenschaugebilde. Eine ganze Zahl von Blütenformen steht ihnen frei. Die Fliegenblumen warten und locken in den Lieblingsfarben der Fliegen - in Ehrenpreisblau, Rosenrot und Weiß. Offen prahlen die Nektarschüsseln, und der Pollen liegt frei. Sie können beides gebrauchen, die Schlecker mit dem wunderbaren Werkzeug des Polsterrüssels. So reden sie neben den Hautflüglern das wichtigste Wort im Blütenhaushalt und sind hineingebaut in das stille Getriebe des Blütenlebens.

Da hängen sie an Sonnenfäden glitzernd und sirrend, da saugen sie mit wippenden Flügeln das Süßeste, was der Sommer bietet, eine Zierde des Sonnentages. Denn nach der Flucht aus dem Düster der Vorstufen sind sie Farbensucher und Sonnenkinder wie keine anderen aus ihrer großen Sippe.

 


Boden

Alles ist grau. Vom Gezweig kollern dicke Tropfen über den Lodenmantel, und der Fuß streift im nassen Laub. Wohin ist die Farbenpracht des Herbstlaubes gekommen? Vor einer Woche biss der Reif in die Blätter. Als die Sonne kam, fielen sie in Schwärmen. Dann lurte der Föhn im Wald. Hernach trat Stille ein, und jetzt ist alles leer.

In der Bodenwelle unter den Randbüschen häuft sich das Laub, zusammengekehrt vom Sturm. Da liegt die Arbeit des Sommers. Welche Massen! Wo soll das hin? Aber war es nicht im Vorjahre ebenso? Und doch verschwand alles unter grünem Gewucher, als wäre es nie gewesen. Das viele Laub - was ist mit ihm?

Unter der Buche, in der jetzt die nordischen Bergfinken Rast halten, schimmert es in kupferroten Decken. Ein Griff hinein: eine Handvoll Laub, ein Dutzend brauner Blätter - ein Gramm toter Sonnenstrahlen. Was ist dabei! Aber das ganze Holz liegt voll davon. Ein Mosaik von Blattumrissen, eine Studie in allen Abstufungen von Gelb bis Tombakbraun: Buche, Hasel, Erle, Ahorn, Esche, Vogelbeere. Sogar die Eichen haben da und dort schon abgeworfen. Wie viele Blätter liegen im ganzen Wald? Die schlankschäftige, vielleicht 50-jährige Buche hier allein trug 400- oder gar 500.000 Blätter - eine ganze Traglast! Einen halben Zentner Laub. Jetzt liegt es da, verweht, verstreut, vergeudet. Wirklich vergeudet? Der Schuh fegt die Laubspreu beiseite. Es riecht nach Gerbstoff, Feuchtigkeit - nach Herbst. Darunter tritt brauner Mulm zutage, noch tiefer schwarzer Humus. Ein hineingesteckter Stock dringt in die Tiefe, einen halben Meter und mehr. Hier ist es, hier modert das Laub vergangener Jahre - und hier wird neuer Boden. Da arbeitet die Zeit in aller Stille. Sie hat viele Gehilfen. Hier heißen sie: Kleinlebewesen.

Als der Baum das Laub preisgab, nicht ohne für sich das Wertvollste daraus zu sichern, da verfiel es der Vernichtung. Vom ersten Augenblick an stürzten sich Millionen von Bakterien auf jeden Zollbreit Boden. Kilometerstrecken bleicher Pilzfäden durchsetzten die Lagen bis ins tiefste Stockwerk. Sie arbeiteten, sie lösten auf, bauten ab, setzten um. Die Tiere führten weiter, was die Pilze begonnen. Das Laub wurde zu Erde, schwarzer, nährstoffreicher Lauberde. Man merkt nichts von dem großartig stillen Geschehen. Man beachtet kaum die Tiere. Und doch hausen in einem Bodenwürfel von 10 cm Kantenlänge mehr Tiere als Menschen in einer Weltstadt. In einem solchen Würfel, gestochen aus Wiesenerde, zählte man um einer Milliarde-Einzeller: Amöbe, Geißeltierchen, Aufgusstierchen. Nicht viel anders ist es hier im Waldboden. Nur das Mikroskop kann diese Allgegenwärtigen entdecken. Aber das ist nicht alles. Zehntausende winziger Fadenwürmer leben darin, Tausende von Bodenmilben, Springschwänzen, Hunderte von "besseren" Kerbtieren samt ihren Larven, von Tausendfüßer, winzigen Spinnen, Krebschen, Dutzende kleiner Ringelwürmer und schließlich 1 bis 2 der großen Helfer des Land- und Forstwirtes, der Regenwürmer. Ein jeder dieser Bodenwürfel enthält rund 5 Gramm an Tieren, dabei etwa viermal soviel an Bakterien und Pilzen. Und alles spaltet, frisst, verdaut. Schließlich besteht fast der ganze Humus aus Abfallstoffen der tierischen Verdauung. Die Gliederfüßer und Ringelwürmer allein fressen z. B. ca. 2/3 der Buchenstreu. Von der harten Nadelstreu des Fichtenwaldes können sie aber nur ein Viertel alljährlich bewältigen. Aber Fichte und Föhre werfen die Tadeln zum Glück nicht auf einmal, sondern allmählich ab. So wird ein Ausgleich geschaffen. In hochwertiger, angereicherter Form geben die Tiere den Müll von sich, sterben ab zu ihrer Zeit, gehen selber auf im großen Kreislauf der Bodenbildung.

Es entsteht die fruchtbare Erde, die den Baum nährt, die Kräuter gedeihen lässt, den Beerenertrag bestimmt, den Besatz mit Wild regelt. Das Laub zerfällt - ist es wirklich vergeudet? Die Bäume wachsen, entfalten die Kronen, mehren das Blattwerk. Mit ihrem Wachstum nimmt die Menge des Laubdüngers zu in richtigem Verhältnis. Die gut 100 kg Falllaub unserer Buche verschwinden Jahr für Jahr zum größten Teil, im Eichen-Hainbuchen-Mischwald aber verrottet das Laub zur Gänze. Wer hat schon einmal nachgedacht, wie viel Laub im Waldbereich des ganzen Landes alljährlich fällt, wie viel zu Erde wird? Wie viele Bodenwesen arbeiten in aller Stille in diesem Bereich an der Fruchtbarkeit der Gründe? Wer ist imstande, die ungeheuren Umsätze zu berechnen? - Es ist wahr: Im Kleinsten ist die Schöpfung am größten!

Falllaub rauscht unter dem Schritt. Auf der Farnblöße spinnt der Nebel. Zigeunernde Meisen geistern im leeren Geäst, und aus der Kiefernschonung treten wintergraue Rehe. Der Tag neigt sich, and das Jahr läuft dem Ende zu. Das große Rad dreht sich, weiter, weiter - und was man für das Ende hält, ist neuer Anfang...

 


Strudelwürmer

Der erste Forscher, der einen Strudelwurm, vielleicht eine gewöhnliche Bachplanarie, unter der Lupe hatte, mag sich nicht wenig seinen ehrwürdigen Kopf zerbrochen haben über dieses Tier ohne feste Form, ohne Gliederung, platt wie irgendein Egel, mit Bewegungen wie eine temperamentvollere Schnecke - wohin damit?

Und wie es eben geht, man suchte erst einmal. Man suchte im Graben und Tümpel, in Bach und See, in Moorschlenke und Gletschermilch, in Meeresschlick und Urwaldmoder - und überall fanden sich ähnliche Dinger, die einen zwar farblos und kaum sichtbar, die anderen klafterlang und leuchtend bunt - allen aber waren etliche Eigenschaften gemeinsam - die platte Gestalt, das feine, dichte Wimpernkleid, dass der ganzen Gesellschaft schließlich den an süddeutsche Küche erinnernden Namen gegeben hat, und endlich der einfache Innenbau. Nun wusste man ja, wohin damit. Ganz unten im System fanden sie ihren Platz, dort, wo sie mit den Urtierchen liebäugeln, wo sie hart neben den Blumentieren stehen, jenen schimmernden Bäuchen und fressenden Schläuchen - ganz unten am alten, großen Stammbaum, dessen Fuß in undurchdringlichem Nebel steht.

Es ist kein Wunder, dass man diese merkwürdige Sippe lange Zeit einfach übersehen hat. Unterhält sie doch keine jener "engen" Beziehungen zum Menschen, die sonst alle anderen Würmer so volkstümlich gemacht haben. Zudem leben die meisten Turbellarien an Orten, wo sie niemand auffallen, nämlich im Wasser.

Unter den Geschiebesteinen im Bergbach kleben schwarze oder braune Klümpchen, die sich drehen, ballen, die sanft dahingleiten oder spannerartig kriechen. Der Fliegenfischer, der für seine Angel nach Wassergrillen und Steinbeißern sucht, hält sie in der Regel für Schnecken oder sonst was - das sind aber Strudelwürmer. Der Student, der zum ersten Male eine Tümpelprobe unter dem Mikroskop beharrt, sieht im Objektträgersee kleine, schmale, körnige Dinger in sanfter Fahrt dahingleiten - Aufgusstierchen, so denkt er, was liegt näher! Aber es sind kleine Strudelwürmer aus der Gruppe der Stabdärmler (Rhabdocölen). Und was mag sich wohl der Urwaldreisende denken, der nach einem Gewitter regen da und dort Tiere durch den Blattmoder gleiten sieht, von meterlanger, blattförmiger Gestalt, feuerrot oder schwarzbunt? Auch das sind Strudelwürmer, tropische Landtrikladen, wunderliche Wesen, die es zu Stande gebracht haben, mit den ursprünglichen Einrichtungen eines Wassertieres das Land zu besiedeln.

Welcher Zoologe denkt nicht beim Wort Turbellarien an Beginn und Vorstufen der Organisation, der Organsysteme? Sind doch die am einfachsten gebauten Strudelwürmer, die meeresbewohnenden Acölen (Darmlose) nichts anderes als eine Plasmamasse mit Kernen darin, über die eine bewimperte Kutikula gespannt ist. Nicht einmal einen Darm haben sie. Einzig in der Anlage des Schlundkopf und der Vermehrungseinrichtungen leisten sie sich einen bescheidenen Anpassungsluxus. Von da an geht es die Leiter hinauf. Der Bau wird verwickelter. Drüsen verfeinern sich, teilen sich in die Arbeit - Schleim-, Kleb- und andere Drüsen durchsetzt die Körperbedeckung, dazu Stäbchendrüsen, jene eigentümlichen, stabförmigen Gebilde, die Rhabditen und Rhamniten erzeugen. Augenflecken mit Sehzellen treten auf, wo das Licht eine Rolle spielt, einen Darm bildet sich aus. Allerlei eigentümliche Abweichungen und Umbildung in der Vorlage bringen Abwechslung in die Gruppe - und doch sind auch die "höchsten" Strudelwürmer noch so einfach, dass das Vorderende kaum etwas vom Hinterende weiß - eine plastische Urmasse. Wie wäre es sonst möglich, dass noch der hundertste Teil einer Planarie sich zum selbstständigen Tiere auswachsen kann? Bei der Art unverwüstlicher Veranlagung ist es begreiflich, dass sich die Turbellarien überall zurechtfinden konnten - im Gletscherbach, am Meeresgrunde, im tropischen Regenwalde - und dass sie von ihrer Umgebung wenig verlangen.

Verborgen spielt sich ihr Leben ab. Die meisten sind Räuber trotz ihrer scheinbaren Wehrlosigkeit, andere halten sich an Pflanzen und Abfallstoffe. Im Wasser oder im feuchten Mulm entwickeln sich ihre Eikapseln, da werden und wachsen sie und führen ein Dasein stumpf, unbewusst - Tierweltdämmerung. Sie scheinen mit ihrem einfachen Bau nicht mehr herein zu passen in die Zeit der scharfen Sinne und der schnellen Muskeln. Und so muten sie an wie Grobskizzen der Schöpfung.

 


Häherlied

Am Tret steht eine Drillingszirbe. Vor ihren Bodenästen staut sich der Schnee zu steifen Hinderniswächten, ihre Krone schaut über die Muldenkante in kohlschwarzer Überschneidung.

Was ist das für ein lichter Fleck am Hornzacke des Schirmbaum? Vielleicht ein Schneenest? Aber er bewegt sich. Kommt nicht von dorther das wunderliche Geklapper und Geplapper? "Dog dag dog hui chrä zrrt". Wenn jemand hier heroben so kunterbuntes Zeug durcheinander spinnt, dann ist es der Bergnarr, der Tannenhäher. Natürlich ist er es. Plustrig hockt er am Ast. Jetzt überstellen er sich. Er fächert den Stoß, hebt die schwarzen Scheitelfedern und würgt los. Was er zusammenstrudelt an groben und feinen klangvollen und hölzernen Tönen kann eigentlich kein Lied genannt werden. Es ist eher ein verworrenes Selbstgespräch, eine willkürliche Mischung von allerlei Weisen, gerade als ob der Sänger bei zehn Lehrmeistern in die Schule gegangen wäre. Das ist er auch wirklich. Von allem was, da heroben schreit und piept, hat er etwas entlehnt. Vom Urhahn das Döbeln, vom Spielhahn das Zischen, von der Bergmeise das Kullern, vom Gimpel die Flötenpfiffe. Was er gelernt hat, formt er nach seinem dicken Schnabel und flicht darein noch die Laute seiner eigenen rauen Häherkehle.

Merkwürdig ist die Dichtung des Berghähers, und eigenartig ist die Landschaft, in der sie entsteht. Die ersten Frühlingsvögel unten im Tale singen über farbigen Buschblumen und braunem Grase. Davon weiß der Häher nichts. Er hat die besten Einfälle gerade dann, wenn an den Geländewellen mannstiefe Wächten anstehen und der Bruchharsch an den Lehne glitzert. Nur muss die Ahnung von irgendetwas Neuem in der Luft liegen, so wie das an sonnengoldenen Vorfrühlingstagen ist. Die Sonne brennt, die Hänge gleißen, weit hinten vor dem unbeschreiblich blauen Himmel flattert eine knallweiße Föhnfahne. Wer soll da nicht singen? Da packt es natürlich euch den Dickschnabel. Er raunzt und quietscht, er klappert und knarrt in seiner eigentümlichen Weise, während droben an der Schneide die winzigen Schattenrisse der Schifahrer vorüberhuschen und der erwachende Föhn leise in den Ästen lurt. Wenn er in Eifer und Begeisterung gerät, dann dreht und wendet er sich auf seinem Sitze, als wollte er durch Gebärden ersetzen, was dem Liede an Wohlklang mangelt. Wer ihn hört, der lacht, wer ihn sieht der lacht noch mehr. Es ist auch zu drollig, wie der große, schön gezeichnete Vogel seine krummen Verse daherplappert. Man freut sich aber doch daran vielleicht mehr als an anderen, viel besseren Liedern. Ist der Tannenhäher doch, der erste der da heroben am Tret etwas Neues zu sagen weiß.

 


Birkenlied

Viele Wochen lang hatte die Waldnacht geschwiegen. Im Mondlicht schlichen die Rehe und Schneestille lag im finstren Grund.

Aus der Dämmerung steigt ein neues Lied. Eine neue Weise füllt die dunkle Stunde. Leuchtende Fließgoldscheiben setzt die Lichtneige in das Astgeräms. Die Altschneeflecken quellen im Rosenschein der Sinkesonne. Schwarz schließt sich das Holz hinter fehlen Schneisen.

Da erwacht das neue Lied. Dunkel quillt es aus dem Boden, heimlich sickert es durch den schwarzen Behang. Es schleicht durch das raume Holz und schwimmt aus der finsteren Dickung. Dumpf singt der schwarze Fichtenwald, hohl seufzt der dunkle Kiefernforst. Nah tönt es in der Ferne, fern klingt es in der Nähe. Von nirgendwo kommt es - und ist überall zugleich.

Heller flackern die Sterne. Blaues Licht kriecht über Holz und Hau. In silberner Schale schwebt der junge Mond. Heller flimmern die Lücken, nächtlicher dunkeln die Schatten. Hohler hallt der schmeichelnde Laut, tiefer seufzt die schwebende Stimme, und mit gellem Jauchzen reißt das Lied entzwei.

Im Mondfächer schaukelt ein dunkler Vogel. Mit schallendem Klatschen endet der lautlose Schwebeflug. Der Schatten zerschmilzt vor der Fichtenwand. Und wieder schwingt der hohle Zwiegesang vom Fichtenwald zum Kiefernforst in dunklem Atemholen. In tiefen Wellen umwölkt er die Föhrenkronen. Er verlurt in der Weite silbriger Blößen, wo die Haselbüsche stumm im Mondlicht warten. Er scheucht den Winterschlaf aus dem feuchten Grund, lockt die Huflattichsönnchen aus dem Lehm, ruft die Buschwindröschen aus dem Weißdornhag und umspült kosend den treibenden Weidenbusch. Es quillt und schwillt der dumpfe Gesang. Es geistert auf den Wegen und spukt auf mondhellen Schlägen. Die Espenzweige tauchen in Silberlicht.

Und es rührt sich im Wald, und es regt sich im Busch. Denn der dunkle Vogel singt sein dunkles Lied, und die Waldnacht ruft mit neuer Stimme.

 


Raunacht

Stumm rudern die Krähenrotten waldein. Die Rosenwatten im Westen verblassen. Das Gestaffel der Bergkulissen im Süden der Stadt verkriecht sich in kaltem Blau.

Noch wartet der Auwald zwischen Tag und Sternenlicht. Dann kommt der Mond und badet im Fluss. Die Raunacht hebt an. Im Halblicht schimmert der Schnee. Schattenleitern fallen auf der Steig. Schlangenschatten zickzacken im Stangenholz. Es flirren bunte Funken. Weich ist die Nacht. So bleiben die Nebelhexen daheim.

Aus dem hellhörigen Dunkel nähert sich stählernes Geklingel. Es pfeift und saust. Es rauscht hinter der verschneiten Uferbank, wo die vermummten Wichtgestalten der Weiden hocken. Lange Stille hinterher. Nur die Wellen plappern und lecken nach dem Mondlicht. Dann ruft es dumpf und heiser über dem Wasser, es antwortet hell und laut. Der Ball beginnt. Es plätschert und plodert, es rappelt und rauscht. Ein dunkles Geschwader gleitet in die Mondbahn, dreht sich, schlägt dunkle Schwingen und taucht in die Nacht. Der Umflug setzt ein. Gelles Fluggeschnatter hallt aus dem Dunkel, schwarze Gestalten decken den runden Mond. Vorbei. Kein Mensch ist weit und breit. Raunachtgeister schleichen durch halbhellen Wald. Der einsame Jäger hört sie im Schattengrunde seufzen, er vernimmt ihre Stimmen im Frostgeklirr und sieht ihre Gestalten im tollen Schattenspiel. Leise knurpst der Schnee unter den Tritten. Aber viel zu laut, für die schweigende Winternacht. Mondfächer irrlichtern im Erlenholz. Über den Steig greifen raue Arme. Sie fassen nach Mantel und Hut, Koboldgestalten tauchen auf, verschwinden, zerrinnen im letzten Augenblick. Farbige Flammen zucken auf und zerstieben im stillen Schlagschatten. Still! Da hinten gleitet eine dunkles Ding über das Zebrafell des Stangenwaldes, schiebt einen Gespensterschatten vor sich her. Wer ist es? Ist es Hase, Reh oder ein anderes Wesen? Noch glitzert der Streifschnee in der Spurbahn und schwebt flirrend zu Boden. Endlos ist der stille Auwald, wo die Erlenstämme wie verrückte Riesenschlangen in den Himmel langen und die verschneiten Hollerbüsche sich wie Untiere in den Boden ducken. Kaltes Feuer flimmert und flackert. Schweres Silber blüht in der heimlichen Nacht, und hinter jedem Stamm lauert ein Schatzwächter. Die Dickungen verlieren sich in Geheimnissen. Aus dem Schattenhang reißt sich ein scharfer Schrei... Höhnische Stille folgt darauf. Da noch einmal. Es ist nur der Fuchs. Er bellt zwischen Mooswiesen und Hügelhang, dort wo der Gießen unter den Eisfenstern gluckst und mit schwarzen Augen nach den Wintersternen schaut. 50 Gänge sind es vom Stangenwald bis zum Aubach. Der Häher nimmt den Raum in einem einzigen Schwung. Heute rückt das Mondlicht den Hang in endlose Ferne. Die Mooswiesen sind neu. Weit unten steht eine Gruppe dunkler Männer. Warum sind sie so still? Es sind ja die Purpurseidenbüsche am Seitengraben. Und was da mitten im Moosgrund kauert, ist ja gar kein Fuchs, sondern ein dick verschneiter Seggenschopf. Lustig lacht der Mond über den falschen Zauber.

Die Eisjungfrauen steigen aus dem Bach und wandeln über die Silberwiesen. Es wird kalt. Und die Au schweigt. Wo ist man so einsam wie da draußen im Mondlichtgeflimmer der Raunacht? Die Oberau hält den Arm vor alle die fernen Lichter weit oben. Es gibt nur spukhafte Erlenleiber, schimmernde Böden, unergründliche, starre Schatten - und im Frost bellt irgendwo der Fuchs. Wie man vor den Erlenmauern die Lichter aus dem Stadtnebel glosen sieht, wähnt man sich mitten unter Menschen. Die Feldmark taucht in fernes Dunkel. Am Bach knistert das Eis, vom Fluss herüber kommt ein gedämpfter Entenruf. Die Raunacht webt im ganzen weiten Land. In den Städten mit ihren verschneiten Gegiebel, in den Dörfern mit ihren halbhellen Baumgärten, ihren dampfenden Ställen und vereisten Holzlegen, in den Höfen in der weißen Einsamkeit zwischen Berg und Tal, im Seidenschimmer der verlassenen Wildhahn, und im Phosphorlicht brennen die Berge. Wo spürt man das besser als da draußen zwischen Wald und Dorf, wenn in der Eisnacht das Mondlicht geistert und alle Schatten leben?

 


Eiszeitgesicht

Soweit den Schildhahn seine Flügel tragen, dehnt sich das Moor mit seinen schwarzen Latschenhorsten und eisigen Tumpen. Die Dryas versilbert das Ödland mit schimmernden Radblümchen und Rentierflechte macht die Hügel grau.

Im Schlammloch sitzt der Riesenhirsch. Schmudd überkrustet seine fahle Decke, Seggenbüschel hängen ihm in den Schaufeln. Faul döst er vor sich hin und schüttelt nur ab und zu den mächtigen Grind, wenn es die Kriebelmücken zu toll treiben. Warum sollte er sich rühren? Einen Einzigen gibt es im unendlichen Moorland, der ihm gefährlich werden könnte, den Höhlenbär. Der aber haust dort, wo der feine, weiße Streifen den Horizont absäumt, von woher der Eiswind bläst, wenn die Silberwurzz gestorben ist und braune Erlenblätter auf allen Tümpeln schwimmen. Was scheren ihn jetzt im Sommer Grauhund und Braunbär! Die wagen sich nicht an ihn.

Schwerfällig hebt sich der Schaufler auf die Lauf und klimmt die Böschung empor. Tiefe Löcher treten seine Läufe ins weiße Moos. Wassertümpelchen sammeln sich in den Tapfen. Das Geweih schlägt spielend ins Knieholz. Vor seinem Tritte poltert das Moorhuhn aus dem Lager, das Brechen und Knacken scheucht den Schneehasen aus dem Sasse.

Wohin wechselt der Starke? Das ist ihm gleichgültig. Vorne und hinten weitet sich das pfadlose Latschenmoor, angefangen von den weißen Bergen, auf denen der ewige Winter wohnt, bis zur endlosen Steppe, wo die Wildpferde weiden, Kruppe an Kruppe, wo neuerdings merkwürdige, aufrechte Wesen eingewandert sind, die Feind sind allem Getier.

Im risthoh Knieholz bahnt sich der Riesenhirsch seinen Pfad, vorsichtig umschlägt er die tückischen Moorblößen, wo um weiß gebleichte Geäst das Wollgras seine Wimpel flattern lässt. Er zieht vorbei an halbversunkenen, flechtengrauen Wanderblöcken, kreuz und quer, wohin ihn der Windfang führt. Unter dem bleiernen Himmel singt der Wasserpieper sein schwermütiges Lied, und ein steifer Wind bläst kalt über das Eiszeitmoor, ruhelos und ziellos.

Draußen am Tundrarande aber raucht das erste Lagerfeuer.

 


Bergwald

Zwischen Berg und Tal - da liegt nicht nur der berühmte Wasserfall, sondern noch allerlei anderes. Wer es sehen will, der schmiere sich die Gelenke, denn ist die Bergwaldstufe schon keine Schrofenkletterei, so hat sie mit Talschleichertum doch ebenso wenig zu tun.

Stumme, dämmerige Dickungen, weite, sonnlichte Schläge, Flechtenflatterbärte an der Kümmerfichte, graue, ruschelige Locken an, der Klafterlärche, verlorene Sonne im wilden Gras, Schimmerlicht in glasgrünen Schachtelhalmwäldchen. Das ist er, der liebe, finstere, wunderschöne Bartwald, der so viel mehr weiß als andere Wälder, der sich mit den Mittelgebirgsforsten nicht vergleichen lässt.

Was der grüne Sinn verlangt und das grüne Herz begehrt, hier ist es zusammengestellt auf kleinem Raume. Langweilig soll er sein und eintönig. Jawohl, wenn das Tolle langweilig und das Allfarbige eintönig ist. Da spreizt sich das Stangenholz, lauter dürre, kümmerliche Stämmchen, die mit sparrigen Spitzen um sich stechen und keinen grünen Halm unter sich dulden. Daneben in den feuchten Runsen, wo aus mürbem Grus das Tröpfelwasser rieselt, sprießt und wächst es wie toll. Da wiegt sich der Walddost, da entfaltet die Pestwurz unsinnig breite "Bletschen", und der Farn möchte in den Himmel wachsen. Wenn die Rehe die Rinne überwechseln, dann gewahrt man nur die sichernden Köpfe, denn über dem Ziemer schlägt das grüne Kraut zusammen. Da gibt es Schläge, auf denen jahraus, jahrein die Prallsonne steht, sodass die Strünke mit den drei Kreuzen und das entrindete Geäst zu Altsilber bleichen; daneben dunkelt der raume, mächtige Hochwald, in dem die Stille wohnt und die Feierlichkeit zu Hause ist. Das ist der Wald, der immer weit und groß erscheint, der Zauber- und Märchenwald.

Der Bergwald verträgt keinen Jodler wie der Almboden; er leidet keinen Kampfschrei wie der Felsenkopf. Nur still. Lautloses Pirschen, heimliches Schleichen. Die Augen locker und die Luser offen, dann rückt er mit dem Schönsten heraus. Dann stellt er die heimlichsten Waldblumen in die Bahn, dann weist er dir die kirchenfensterbunten Schimmerlichter im Gestämm, dann führt er dir das Bergwild vor das Glas. Dann gewahrst du das Auerhuhngesperre im kniehohen Schwarzbeerkraut, du erspähst den Königsspecht mit seinem Flammenscheitel und dort im besonnten Schrofensims das Ding aus braunem und goldgelbem Sammet. Ist er's oder ist er's nicht? Ei, freilich ist er's, der Edelmarder, der Seltene. Nun gar so selten ist der Edle nicht zwischen Berg und Tal, aber das darf man nur flüstern. Auch Füchse gehen um, Bergfüchse doppelt so gut im Balg wie die von drunten und neben ihnen noch andere Kerle mit blanken Reißer im Fange und vielerlei Friedwild.

Bergwald, Wildwald! Der Große Hahn, von dem es in einer Faunenübersicht von Deutschland heißt: "für hohe Gäste gehegt in einigen Forsten": Der ist hier Standwild seit Menschengedenken, auch ohne hohe Jagdgäste. Der bunte Haselhahn, der Tsitseri steckt noch in allen Dickung. Da wechselt der Rehbock, da sticht der Dachs. Wem lacht bei solchem Anblicke nicht das Herz im Leibe? Wer schmettert da nicht innerlich: "Und vom Morgen bis zum Abend streif ich dann im Wald umher!"

 


Der Almtrog

Ein hölzerner Almtrog ist kein Kunstwerk. Irgend ein tüchtiger "Larch" - es stehen ja genug um die Alm herum - muss herhalten. Der wird auf zwei oder drei Klafter geschnitten, hohlgehauen, mit Abflussspund versehen und einer Überlaufrinne. Das tut's. Dann kann das Wasser herunterplätschern aus dem Gerinn. Ah, dieses Wasser! Drunten in den Städten speien es Drachenköpfe und Delphine in Marmormuscheln, schön anzuschauen, aber nicht zum Trinken. Aber dieses da, eiskalt, springlebendig, das ist ein Herrentrunk! Den möchte ich kennen, der es nicht nach heißem Anstieg in den Filz oder den Becher laufen lässt. Und den möchte ich sehen, der sich nicht daneben auf die Rasenbank setzt, hat er Zeit. Der Senner setzt sich nicht ungern dazu. "Ischt schon guat, des Wasser", sagt er, "aber pass au auf die Wasserkälber!" Wasserkälber? Schließlich steckt man die Nase nicht in die Trog wie die Almkühe ihre Muffeln. Freilich, wenn man da hineinschaut, wird einem schon ein wenig "anders". Das ist ja das reinste Aquarium!

Algen machen die Wände schlüpfrig und bauschen sich in den Ecken. Am Boden hat sich ein feiner, glimmernder Sand abgesetzt. Da liegt ein gerollter, dicker Zwirnfaden, hier ein dünner, brauner, verbogener Draht. "Dös sein sie," sagt der Senner, "die Wasserkälber". Wahrhaftig, vertrauenerweckend sehen sie nicht aus, diese fast meterlangen Saitenwürmer. Nur gut, dass sie besser sind als ihr Ruf. Nicht alles muss giftig sein, was unheimlich aussieht. Sie haben es auch nicht auf den Herrn der Schöpfung oder seine Haustiere abgesehen. Ihr Sinn steht nach Krabbeltieren. Im Trog räuberte einmal eine dicke Schwimmkäferlarve. Die fühlte sich längere Zeit unpässlich. Sie litt an "Gordius". Eine winzige Wasserkalb-Larve hatte sich in sie hineingebohrt und lebte nun vom Fett des Wirtes. Sie wuchs, und als sie weit genug war, verließ sie an irgend einer Stelle als fertiger Saitenwurm die Käferlarve. Damit war der Fall erledigt. Die Räuberlarve starb nicht einmal daran. Sie hatte Glück gehabt, denn nicht immer läuft es so glimpflich ab.

Ja wenn es nur die Wasserkälber allein wären! Aber da sind noch die "Uffln". Mit geheimnisvoller Stimme erzählt der Senner von diesen Untieren. Dem Großvater des Urgroßvaters hat einmal einer von der Tücke dieser Viecher schlimme Dinge berichtet. Der hatte das Pech, mit dem Wasser einige dieser Schädlinge zu schlucken. Ein Bauchgrimmen hat er bekommen, dass man ihn auf der Schleife zu Tal befördern musste. Ja, die Uffln! Eine Viertelstunde lang fischten wir alles Mögliche aus dem Trog. Endlich zappelte ein Tierchen im Becher - das war sie! Ein zartes, sechsbeiniges Wesen mit zwei langen Schwanzfäden und nervösem Benehmen. Da stieg uns der dringende Verdacht auf, dass das historische Grimmen seine Ursache in einem jähen, eiskalten Trunk oder einem zu reichlichen Schwingmus gehabt haben musste, denn das da konnte unmöglich solche Dinge veranlassen. Es war eine kleine Eintagsfliegenlarve, das harmloseste, was man sich denken kann. Die lebte da im kalten Wasser, um später an einem schönen Tage ein paar Stunden in der Sonne zu tanzen.

Ja die Uffln! In dem Becher zuckelten auch ein paar Mückenlarven herum. Von dieser Sorte wimmelte es ja um die Alm. Ganze Säulen spielten über den nassen Stellen. Leider auch noch anderes Unzeug. Im Hag nebenan schlägt und stampft und schellt das Vieh. Die Bremsen lassen ihm keine Ruhe. Auch die sind aus dem Wasser gestiegen. Da im Brunnenschlamm wühlt ein fünf Zentimeter langer, grau geringelter "Wurm". Viel mehr seinesgleichen stecken im Ablaufwasser am Boden. Das sind die Bremsenlarven, Kinder dieser Plagegeister aller Almen. Nur gut, dass die Hausrotschwänzchen, die im Giebel nisten, eine unschätzbare Menge davon ihrer Brut zutragen. Wartet nur, ihr Blutsauger! Da sind die Schwimmkäfer schon besser, die im Trog ein Preisschwimmen veranstalten oder die braunem, kleinen und plumpen Steinfliegenlarven, die an den veralgten Wänden träge herumkrabbeln, sogar die räuberischen, dürren Wasserläufer, die gelegentlich auf dem Spiegel Schlittschuh laufen. Ja, so ein Almtrog hat viele Bewohner. Nur gut, dass die Kühe, die daraus ihren Durst löschen, keine zoologischen Studien betreiben.

Es wird bald Zeit zum Aufbruch. Eben stellt der Kühbub einen Melkeimer unter den Schwall. Durch den Almwald her bimmelt das Vieh. Gleich wird es lebendig um die Hütten. Noch zehn Minuten wollen wir bleiben, in den Glanz der Berge schauen, dem Brunnen zuhören und einen Becher voll Bergwasser trinken - aber von der Rinne weg, ja nicht aus dem Trog...

 


Vom Fliegen

Es ist noch nicht lange her, da war das Fliegen ein Vorrecht jener Menschenklasse, die sich mehr aus Notwendigkeit als aus Neigung in den Schulhäusern umherzutreiben pflegt. Dass diese Art des Fliegens nicht die richtige ist, daran zweifelt wohl niemand, am wenigsten die daran Beteiligten. Die übrige Menschheit flog früher höchstens im Traum. Zwar hatte der gute alte Dädalus der griechischen Sage das Kunststück einmal probiert, scheiterte jedoch im Großen und Ganzen an technischen Unzulänglichkeiten. Das war einmal. Eine Binsenweisheit, dass heute die Luft nicht nur mehr den Vögeln gehört. Aber die Meister darin sind sie doch geblieben, da kann man sagen, was man will. So sind sie in Vielem auch heute noch Lehrmeister, und der Mensch sieht mit Neid auf diese Geschöpfe, die so viel weniger gescheit und so viel gewandter sind als er selber. Denn erst, wenn der Sicherheitsgrad des Vogelfluges erreicht wäre, könnten die Flugzeuge den Vergleich, mit diesen Kindern der weiten Räume aushalten. Wer hat schon von "selbstständig" abgestürzten Vögeln etwas gehört? Mag auch der Schnelligkeitsrekord der Vögel gebrochen sein, ihre Sicherheit und Wendigkeit, ihr leichter Start, ihre spielende Landung sind ist nicht überboten. Der Vogel ist eben für die Luft und in die Luft hinein gebaut.

Es gibt ungefähr 10.000 lebende Vogelarten. Jedem sind die Flügel eine Kleinigkeit anders gewachsen, und von den paar Flugunfähigen abgesehen, fliegt jedes nach seiner Art. Man braucht nur einmal den stürmischen Schwirrflug eines Mauerseglers mit dem ruhigen Schweben eines Bussardes zu vergleichen, oder den hüpfenden Bogenflug eines Sperlingsvogels mit dem pfeilschnellen, aber auch pfeilgeraden Flug eines Feldhuhnes. Es meistern nicht alle die Lüfte auf dieselbe Weise.

Gelegenheit gibt es genug um Flugstudien anzustellen. Hier zum Beispiel. Da segelt ein Bussard über die Wipfel, wendet, kreist. Wie viel Leichtigkeit in der Bewegung! Wie viel Eleganz! Bei einen so schweren Vogel. Wie viel mag er wiegen? Er ist ein großer Kerl - es wird nicht viel auf zwei Kilo fehlen. Wie kann ein so gewichtiges Stück in Schwebe gehalten werden? Die Segelflächen sind gespannt, mächtige Segel, die dem Vogel im Inntal den Namen "Plattgeier" eingetragen haben. Sie mögen gut ein Fünftel Quadratmeter bedecken. Ein Gewicht von zwei Kilo auf 2000 cm² noch so leichter Tragfläche montiert bleibt nicht in der Schwebe. Da muss etwas anderes dahinter stecken! Der Vogel bewegt sich! Das ist es! Jetzt in ruhiger Fahrt legt er vielleicht so zwölf Meter in der Sekunde zurück. Das reicht, um ihn mühelos in der Luft zu halten. Einen Adler oder Geier mit einem Quadratmeter Schwingenfläche und sieben Kilogramm Gewicht würde eine Geschwindigkeit von zehn Metern in der Sekunde genügen, um ohne zusätzliche Schwingenarbeit das Schweben zu ermöglichen. Unter normalen Luftdruckverhältnissen könnte er da nicht absacken. Dabei hat der Vogel noch verschiedene Vorteile. Der Flügel ist ja nicht einfach ein "fliegendes Brett", das gegen den Wind gestellt wird. Er ist ein fein gebautes, vielseitiges Werkzeug. Er vermag die Luft zu halten oder durchzulassen, je nach Willen und Bedarf. Gleichzeitig kann er mit Hilfe der Handschwingen, der "Vortriebsfedern", die Geschwindigkeit regeln. Wenn der Bussard mit zwölf Sekundenmetern vorwärts stürzt, verdichtet sich die Luft. Sie möchte ausweichen. Aber wohin? Das Abfließen nach vorne, also in der Bewegungsrichtung, geht nicht. Dazu wird sie für alle Fälle noch von dem am verkümmerten Daumen sitzenden "Afterflügel", der sich quer zur Segelfläche stellt, abgeriegelt. Nach oben geht es erst recht nicht. Dort schließen sich die Tragfedern eng zusammen. Nach unten besteht kein Druckgefälle. Kommt also auch nicht in Frage. Also nach hinten. Aber da hindert die Schrägstellung des Flügels. So fängt sich die Luft in der Höhlung des gewölbten Flügels, verdichtet sich bis zur Tragfähigkeit. Der Vogel liegt sicher auf den Luftmassen, die sich ihm schwer entgegenstellen. Bei Verzögerung der Bewegung muss freilich durch Vibrieren der Vortriebsfedern oder sogar durch Schwingenschläge nachgeholfen werden. Man kann sich denken, dass ein Vogel eine feine Empfindung haben muss für die kleinsten Wechsel in Luftdichte und Druck.

Jetzt ist dem Bussard etwas anderes eingefallen. Im Glas sieht man deutlich, wie er die Schwingen zurücklegt. Er hat die Tragflächen verkleinert. Er sinkt in gerader, zügiger Bahn. Der Segelflug ist in den Gleitflug übergegangen. Gleiten kann jeder Vogel - zu segeln aber vermögen nicht alle. Dazu gehören eine gewisse Mindestgröße und ein bestimmtes Gewicht. Selbstverständlich auch eine Tragfläche, die nicht zu klein sein darf im Verhältnis zum Gewicht. Dann mögen die Schwingen breit sein und stumpf wie bei den Geiern und Bussarden, den "statischen" Seglern, die vor allem aufsteigende Luftströmungen benutzen, oder schmal und lang wie bei Sturmvögeln und Möwen, den "dynamischen" Seglern, den wahren Segelkünstlern. Ein Kleinvogel aber kann nicht segeln. Der Star schnurrt unter ständiger Flügelarbeit dahin, der Buchfink holt sich den nötigen Schuss für seinen Bolzenflug durch heftigen Schwingenschlag. So erklärt sich aus Größe, Gewicht und Schwingenform die Verschiedenheit der Flugarten.

Ist es eine Freude, dem Segelflug eines Raubvogels mit den Augen zu folgen, so ist es ein Vergnügen, die rasenden Hetzspiele der Turmsegler oder die flinken Wendungen der Schwalben zu beobachten. Wer sich mit solchen Dingen befasst, der wird bald den Vogel nicht nur an seinen Federn, sondern auch an seinem Fluge erkennen. Und er wird sich wundern über die verschiedenen Wege, den Luftraum zu meistern, welche zum gleichen Zeile führen. Und der Herr der Schöpfung braucht sich nicht allzu viel einzubilden auf seine Künste, denn andere können es noch besser.

 


Bachmoos

Dort, wo es der Bergbach am eiligsten hat, wächst das Bachmoos in schweren Polstern. Alle Sturzblöcke, alle Fallwände, alle Schussrampen tragen talseitig die dicken, schwarz-grünen Überzüge. Starr gekämmt und reglos hängen die dicht verfilzten und versandeten Rasen im steilen Gefälle, fluten dagegen sanft im ruhigen Seitenwasser. Bis in den Spritzgürtel hinein reichen die dunklen Plüschteppiche. Einzelne Flocken wallen vom Ufergeröll der Kiesbecken.

Wer eine Handvoll des dichten Gewebes aus dem Verbande zupft und die Geschichte näher betrachtet, der wundert sich. Was er da in der Hand hält, ist ein Büschel von schlammtriefendem, missfarbigem Zeug. Da und dort zappelt eine Zuckmückenlarve. Ist das die ganze Herrlichkeit? Nach zwei Stunden im Ansetzglase sieht die Sache wesentlich anders aus. Stammt die Probe aus einem richtigem Bergbache, so versteht man jenen Hydrobiologen, der beim erstmaligen Anblick dieser Dinge das halbe Haus aus dem Schlafe randalierte, denn was sich jetzt da hinter der Aquariumwand abspielt, ist kaum zu beschreiben - ein ungeheuerliches Gewimmel hat sich aufgemacht, ein wahnsinniges Gewirbel, ein tobsüchtiges Gekrabbel und Gezappel, Leben und Bewegung, dass einem die Haare zu Berge stehen, unbeschreiblich und unvergesslich. So sieht es also in Wirklichkeit aus.

Das Bachmoos ist ein wunderlicher Lebensraum. Er stellt ein Filzwerk dar, gewoben aus langen Einzelranken, deren untere Teile absterben, deren obere weiterwachsen, sodass die Polster immer massiger und dicker werden. Das Blattwerk liegt schön geordnet in Strömungsrichtung, desgleichen die Einzelblättchen, die unter der Lupe aussehen wie kleine Dachtraufenschnäbel.

Wie ist es nun möglich, dass sich mitten im wildesten Sturzwasser so reiches Leben entwickelt? Es gibt nur wenige Tiere, die es wagen, sich der blanken, ungehemmten Strömung auszusetzen. Keiner der Moosbewohner ist darunter. Es müssen also im Mooswalde ganz andere Lebensbedingungen herrschen als am glatten Stein von gleichem Neigungswinkel. Während hier das Wasser ungehemmt darüber braust, findet es dort schon an der Oberfläche des Polsters eine Unzahl kleiner, aber wirksamer Widerstände im zähen, federnden Rankengewirr. Wenn nun das Wasser ins Innere des Polsters dringt, sickert es langsam von "Stock zu Stock", immer weiter wird seine Kraft gespalten. Am Polstergrunde wirken wahrscheinlich sogar schon Kapillarkräfte. So sickert das Wasser langsam durch die Moosplatte, bis sie neu durchspült und durchlüftet ist. An kleinen Steilfällen mit dünner Wasserhaut kann man die strömungshemmende Wirkung der Mooskissen und die Auffüllung der Polster gar nicht übel beobachten. Man streicht einfach den Polster in Strömungsrichtung aus und leitet das Wasser über den Handrücken ab. Gibt man nun dem Wasser wieder freie Bahn, so sieht man, wie der Polster sich langsam fließpapierartig ansaugt, aufgeht wie ein Schwamm und dabei die Strömung verzögert, bis er mit Feuchtigkeit gesättigt ist. Dann stürzt das "Oberwasser" wieder lustig darüber hin. Der Wasserwechsel im Moose erfolgt also bedeutend langsamer als an der Oberfläche.

Dass die Strömung im Mooskissen langsam und ungefährlich ist, erkennt man außerdem an den Ablagerungen, die sich hier regelmäßig vorfinden. Das Moos wirkt wie ein Sieb. In den Fahnen verfängt sich grober Glimmersand, Quarzkörnchen und dergleichen. In tieferer Schicht sammelt sich feinerer Sand, und die "Mooswurzeln" stecken in einer im Verhältnis zu den zwei anderen Lagen außerordentlich mächtigen Schicht feinsten, tonartigen Schlammes, der bei starkem Wasserdruck unfehlbar ausgewaschen werden müsste.

In diesem langsam durchspülten, sicheren Mooswalde findet eine Unmenge von Wassertierchen einen standesgemäßes Dasein. Kein Wunder! Im Moose sammeln sich die Abfallstoffe des Bachgrundes. Diese werden mit Vergnügen verzehrt. Das Moos selbst liefert natürlich die Hauptbeiträge, zudem gibt es hier, trotz der im Schlamme sich abspielenden Fäulnisvorgänge, Sauerstoff so viel man braucht. Man muss nur so einen Rampenpolster ansehen. Um und um ist das Rankwerk weiß von Blasengestrudel. Außerdem erzeugen die grünen Blätter O2 im eigenen Haushalte.

So ist das Wassermoos wie geschaffen zur Kinderstube des Bachgekrabbels. Wer später im Geröll und Geschiebe lebt, macht, wenn es sich glücklich trifft, die Moosschule mit. Steinfliegen, Köcherfliegen, Eintagsfliegen machen es so. Im Abfall leben die Larven der Schmetterlingsmücken. Die groben Larven der Bachschnake wühlen im Feinschlamm, Käferlarven krabbeln im Gezweig, dazu die Käfer selbst - "Helmis" der schwarze und die rote "Hydreana", mit den "Steigeisen" an den Beinen, Krebschen in allerlei Ausgaben, Strudel-, Borsten- und Fadenwürmer, Urtierchen natürlich auch - eine wunderlich bunte, gemischte Gesellschaft. Alles aber verblasst vor der unvorstellbaren Masse der Zuckmückenlarven. Das ist ein unsinniges Gewirbel, ein wahnsinniges Gezappel, ein unheimliches Getümmel - es ist wie der Traum eines verrückten Zoologen.

Wann macht sich kaum eine Vorstellung, in welchen Massen die kleinen, wurmartigen Zweiflüglerlarven das Moos bevölkern. In zwei Händen voll Moos wurden 2- bis 3000 Lärvchen gezählt. So verhält es sich mehr oder weniger in allen lebensgünstigen Bergbächen. Man kann sich nun den Spaß einer groben Schätzungsrechnung leisten. Rechnet man 50 Moospolster genannter Größe auf 50 Meter Bachlänge, was für die Urgebirgsbäche viel zu niedrig gegriffen ist, so gibt das auf 1 km Bachlauf bereits 2 bis 3 Millionen Tiere, dabei sind die Gattungsgenossen auf Stein und Schwemmholz vollkommen vernachlässigt. Zudem betrifft diese Schätzung allein den Winterstand. Wer will weiter schließen? Jedenfalls versteht man auf Grund solcher Überlegungen, wo hier die mächtigen Wolken der "Schönwettermücken" kommen, und dass diese Kerfe im Bachhaushalte eine Rolle spielen müssen, bezweifelt wohl niemand.

So ist das Moos eines der wichtigsten Lebensgebiete des Bergbaches, in dem sonst kaum ein höheres Pflanzenleben gedeiht. Außerdem ist es ein hübscher Schmuck des Bachgrundes. Es gibt dem hellen Kiesgeschiebe den dunklen Hintergrund und macht den harten Wasserschwall weich und voll. Ist es nicht prächtig, wenn die Sonne ins grün-silberne Blasengestrudel des Moosfalles scheint oder die flüchtigen Lichtringe über dem Grundmoose zittern? Aber es ist nur an Ort und Stelle schön, wie schließlich alles andere auch.

 


Moos

Viele Leute, besonders die, welche sich ganz hervorragend gescheit dünken, behaupten, es gäbe auf der großen weiten Welt nichts anderes als Zank und Streit und Rauferei, nichts als Fressen und Gefressen werden und diese Ansicht gefällt ihnen so gut, dass sie darüberhin nichts anderes mehr bemerken. Dabei braucht man gar nicht lange zu suchen, um Dinge zu beobachten, die damit nichts zu tun haben. Ja es gibt auch ganz andere Dinge im großen Uhrwerk der Schöpfung.

Da ragt der Nadelwald so hoch und dicht, dass kaum ein Sonnenstrahl bis auf den Boden dringt. Der Boden trägt eine grüne Samtdecke von Moos. Ihr armen Moose, wie schlecht geht es euch? Ohne Sonne, ohne Licht, alles nimmt Euch der schlimme Wald! Wie würdet ihr gedeihen draußen auf dem lichten Schlag! Schau nur einmal dort hinaus! Ein paar ärmliche Moosflecken liegen dort, fuchsig und kümmerlich. Das sieht nicht aus wie Kampf zwischen Moos und Wald, wie Unterdrückung des Schwächeren! Denn unter den Bäumen gedeihen sie ja viel üppiger als hier! Das sieht eher aus nach einem Bündnis. Aber zu einem Bündnis gehören zwei, die gegenseitig etwas bieten. Der Wald bietet Schutz und Schatten, was aber bietet das Moos? - Es hat geregnet. Alle Moospolster quellen und schwellen wie vollgesogene Badeschwämme. Die Lumpen! Die behalten ja das ganze Wasser für sich allein! Was bleibt da den armen Baumwurzeln? Wie müssten die Stämme gedeihen ohne die versoffene Gesellschaft! Zum Beispiel drüben am Hang, wo es kein Moos gibt. Dort hat man seit Menschengedenken Streu gerecht. Schauen wir einmal nach. Aber das schaut ja armselig aus! Keine vollen Stämme, keine schweren Behänge, nur sparriges, minderwertiges Zeug! - Ja die Moose sind keine Lumpen. Während hier am Hang da ganze Wasser abläuft und den Bäumen verlorengeht, halten sie es fest und geben es langsam ihren Freunden, den Bäumen ab. Sieht das vielleicht nach Kampf aus? Es ist ein prächtiges Zusammenspiel!

Aber es geht noch weiter. Da sickert das Wasser sachte ein, erreicht die Wurzelspitzen - und die möchten trinken und können nicht! Sie sind nicht fähig, das Wasser aufzunehmen. Was tun? Da springen andere Freunde ein. Blasse, feine Pilzfäden ziehen durch den Waldboden, umspinnen die Wurzelspitzen, dringen dort ein - und leiten das Wasser dorthin. Das ist ein Freundschaftsdienst. Was bekommen sie dafür? Der Baum schenkt ihnen von seinen Säften. So leben die zwei zu gegenseitigem Nutzen und dienen einander. Die Schöpfung ist ein riesengroßes, allerfeinstes Uhrwerk, ausgedacht von einem unübertrefflichen Meister. Da greift ein Rad in das andere, und wenn der Mensch eines in seinem Unverstand herausnimmt, dann geht die Uhr nicht mehr richtig. Alles ist wunderbar aufeinander abgestimmt. Zum Beispiel Folgendes: Das Laub fällt nach einiger Zeit von den Bäumen. Am Boden wird es von Pilzen und Bodentierchen zersetzt, und nun können diese Stoffe wieder von den Bäumen aufgenommen werden. Also wieder ein Zusammenspiel. - Oder: Wer hat schon einmal nachgedacht, warum dieser oder jener Garten so reichlich Früchte trägt, ein anderer fast keine? Dieser hat im Frühjahr zur Zeit der Blüte wenig Bienenbesuch empfangen, weil weit und breit kein Bienenhaus steht, jener aber wurde von Bienenscharen beflogen. So tragen die Äste, dass sie sich biegen, und die Waben im Stock strotzen von Honig. Bienen und Bäume waren sich zu Diensten. Wo muss die Zusammenarbeit mehr auffallen als hier?

Man kann schauen, wohin man will, überall begegnen einem solche Tier- und Pflanzenfreundschaften. Ameisen pflegen manche Tierchen, Vögel nähren sich von Beeren und verbreiten dafür ihre Samen. Würmer lockern und düngen den Boden, sodass Blumen und Gräser freudig gedeihen. Wasserpflanzen durchlüften den Teich, dass alle möglichen Tiere, Fische und vieles andere ihn besiedeln können. Man würde mit der Aufzählung nicht fertig. Ja, es ist einfach nicht wahr, dass die Welt aus lauter Streit und Kampf besteht. Das glaubt keiner mehr, der darüber nachgedacht hat, wie die Dinge einander dienen.